Augsburger Allgemeine (Land Nord)
In Santander findet die Zukunft statt
Digitalisierung Die spanische Stadt ist anderen Metropolen um Jahre voraus. Dort ist die technische Revolution weit fortgeschritten. Doch wie funktioniert die „Smart City“?
Santander/Madrid Viele Städte in Europa versprechen seit Jahren vollmundig, sich in „Smart Cities“zu verwandeln. In digitalisierte urbane Lebensräume, in denen neueste Informationstechnik hilft, die Stadt nachhaltiger, umweltfreundlicher, staufreier und in jeder Hinsicht effizienter zu machen. Meist wurden bisher aber nur kleinere Schritte gemacht. Im spanischen Santander ist die technologische Revolution derweil schon weit vorangeschritten – die Küstenstadt erwarb sich den Ruf, einer der intelligentesten Orte Europas zu sein.
Mülltonnen, Grünanlagen und Straßenlaternen sind in Santander klüger als anderswo: Die Abfallcontainer melden sich bei der Zentrale, wenn sie nahezu voll sind – worauf sich ein Müllfahrzeug zu ihnen auf den Weg macht. Öffentliche Parks, die in regenarmen Zeiten Wasserbedarf verspüren, aktivieren selbstständig die Beregnungsanlage. Und Straßenleuchten schalten spät in der Nacht automatisch in den Energiesparmodus, wenn weit und breit kein Fußgänger oder Auto in Sicht ist.
Santander ist Spaniens digitale Musterstadt, die von Expertengruppen aus aller Welt besucht wird. So begrüßte Bürgermeisterin Gema Igual in den letzten Monaten zum Beispiel Delegationen aus Japan, der Türkei und aus Deutschland. Ihre Atlantik liegende Badestadt, die früher vor allem wegen ihres milden Klimas, der Traumwellen und der schönen Strände den spanischen Adel anzog, habe sich heute zu „einem wahrhaftigen urbanen Labor“entwickelt, sagt die Bürgermeisterin stolz.
Ein Stadtlabor, in dem neue Technologien ausprobiert werden – mit dem Ziel, „das Leben unserer Bürger zu erleichtern“. Auch die heimische Wirtschaft profitiere von dieser städtischen Informatikrevolution: Die Digitalisierung diene als Wachstumsmotor der Stadt, in der 175000 Menschen leben und in der Spaniens größtes Geldinstitut, die Banco Santander, ihren Sitz hat. Bürgermeisterin Gema Igual: „Santander ist für andere Städte zu einer Referenz geworden, weil wir Pioniere sind.“
Natürlich gibt es in Santander auch ein Parkleitsystem, mit dem im Jahr 2010 die Fahrt in die Zukunft begann. Sensoren im Straßenpflaster melden, ob über ihnen gerade ein Fahrzeug steht oder nicht. Wenn der Platz frei ist, funken sie dies binnen Sekunden an die Datenzentrale. Per Parkplatz-App auf dem Smartphone und mit digitalen Anzeigetafeln am Straßenrand werden Autofahrer dann zu den freien Parkplätzen am Straßenrand oder in Parkhäusern gelotst.
Gerade erst bescheinigte die Studie „Perspektiven der spanischen Smart Cities“, die von der Unter- nehmensberatung KPGM und Siemens erarbeitet wurde, dass mit der urbanen Digitalisierung viel Geld und Energie gespart werden kann. Die Experten beziffern den langfristigen Spareffekt durch effizientere Verwaltung des städtischen Wasserund Stromverbrauchs, der Müllverarbeitung oder des Verkehrsaufkommens auf bis zu 60 Prozent. Auch die Umweltbilanz lasse sich mit dem Einsatz modernster Technologien deutlich verbessern.
Dank dieser Erkenntnis wurde Santander zur Stadt der Sensoren: Rund 12000 digitale Messfühler sind in dem Ort verteilt. Viele dieser Sender sind in schuhkartongroßen Kästen mit Antennen versteckt, die an Masten, Laternen und Fassaden kleben. Auch Polizeiwagen, Taxis und städtische Busse sind mit datensammelnden Geräten ausgestattet. Wetterinfos, Luftqualität, Lärmbeam lastung, Verkehrsdichte, Lichtverhältnisse – der Zentralcomputer wird mit allem, was der Stadt und ihren Bürgern nützlich sein kann, gefüttert.
Natürlich ist eine „Smart City“nur richtig smart, wenn ihre Bewohner mitmachen und zu „Smart Bürgern“werden. Für die „Santanderinos“, wie die Menschen hier heißen, gibt es jede Menge Applikationen, mit denen sie den Datenstrom nutzen können, um sich über die Verkehrslage, Umweltsituation oder das Wetter zu informieren. Wer zum Beispiel wissen will, wann an einer bestimmten Haltestelle der nächste Bus kommt, der muss nur auf seinem Handy die Anwendung „Smart Santander“aktivieren. Die App findet dann mit GPS-Hilfe heraus, wo der Bürger steht und teilt ihm die Abfahrtszeit mit.
Besonders eifrig benutzen die Santanderinos übrigens eine Smartphone-Anwendung, mit der sie den städtischen Beamten Beine machen können: Sehen die Bürger irgendwo in ihrer Stadt ein Schlagloch im Straßenbelag, eine Stolperfalle auf dem Bürgersteig oder eine kaputte Straßenlampe, können sie gleich mit der App „Der Puls der Stadt“eine Schadensmeldung samt Foto abschicken. Ganz öffentlich und sichtbar für alle.
Online kann dann die gesamte „Smart City“verfolgen, was die Verantwortlichen unternehmen, um das Ärgernis zu beheben.