Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Diese Reform muss schnell auf den Prüfstand
verkehr zu bringen, so der RMVSprecher. Die Rechnung sehe nun so aus, mit preisgünstigeren Einzeltickets und Tageskarten mehr Kunden in den öffentlichen Nahverkehr zu locken. So soll die Reform kostenneutral für den Verkehrsverbund sein. Hirschler verweist auch auf einen Versuch: Mit der App „RMVsmart“können 30 000 Gelegenheitsfahrgäste im öffentlichen Nahverkehr kilometergenau abrechnen, wie viel sie gefahren sind. Viele kämen auch mit dieser Lösung deutlich billiger weg als bisher. Der Versuch laufe seit eineinhalb Jahren bereits sehr erfolgreich und habe neue Kunden für den öffentlichen Nahverkehr gebracht. Deshalb soll er fortgeführt werden.
Auch in München steht eine Ta- rifreform im öffentlichen Nahverkehr bevor. Die neuen Preise im Verkehrsverbund MVV sind noch nicht endgültig festgelegt. Entscheidungen sollen in diesem Jahr fallen. Bereichsleiter Norbert Specht erläutert aber die Strategie, die beim Umgang mit Seltenfahrern greifen soll. Ziel sei, für diesen Kundenkreis Fahrten zwischen Stadt und Umland künftig deutlich billiger anzubieten, und zwar durch feiner abgestimmte Zonen, die große Preissprünge vermeiden. Bei Fahrten innerhalb Münchens soll sich für Gelegenheitsfahrgäste grundsätzlich nicht viel ändern. Allenfalls werde es eine moderate Preissteigerung für diese Tickets geben, keinesfalls jedoch Erhöhungen von bis zu hundert Prozent wie in Augsburg durch den Wegfall der Tarifzone 1. „Unsere Philosophie ist, die Tarifbedürfnisse der Kunden abzudecken“, sagt Specht. Nach Erfahrungen des MVV steigen die wenigsten Menschen gleich mit einem Jahresabo auf den öffentlichen Nahverkehr um. „Die meisten tasten sich heran.“Wichtig sei deshalb, dass die Einstiegspreise für Gelegenheitsfahrgäste marktfähig seien.
Die Tarifreform im Augsburger Verkehrsverbund (AVV) steuert seit Januar in eine entgegengesetzte Richtung. Gelegenheitsfahrgäste müssten teilweise drastische Preiserhöhungen in Kauf nehmen, während Stammkunden tendenziell von günstigeren Angeboten profitieren können. Das Problem, dass sich Kunden heute nicht mehr so gerne dauerhaft binden, sehen die Stadtwerke nicht: „Was wir mit den Abonnements anbieten, ist nichts anderes als eine Flatrate. Und die sind bei Handys inzwischen völlig üblich“, sagt Stadtwerke-Chef Walter Casazza.
Kritisch sieht die Augsburger Tarifreform aber auch Verkehrsexperte Herbert König. Der frühere Chef der Münchner Verkehrsbetriebe war zuvor beim Augsburger Verkehrsverbund tätig. Grundsätzlich problematisch sei, dass die Fahrpreise für Gelegenheitskunden zunehmend weniger konkurrenzfähig zur Autonutzung seien, sagt er. „Viele Verkehrsverbünde in Deutschland fahren eine andere Strategie als der Augsburger Verkehrsverbund.“»Kommentar, S. 35
Der Augsburger meckert gerne, sagt man. Aber so massive Proteste wie gegen die neue Tarifreform im Augsburger Verkehrsverbund hat es schon lange nicht mehr gegeben. Zu Recht. Denn auch wenn Stammkunden im öffentlichen Nahverkehr weitgehend geschont werden, müssen viele Gelegenheitsfahrer drastisch höhere Preise zahlen. Schon im Sommer 2017 wurden Einzelfahrscheine und Streifenkarten prozentual deutlich teurer als Abonnements. Mit der neuen Zonenregelung seit Januar werden viele Seltenfahrer noch viel krasser zur Kasse gebeten. Man kann von etwa 70 000 Bürgern ausgehen, die betroffen sind.
Diese Preispolitik mag aus Sicht des AVV und der Stadtwerke nachvollziehbare wirtschaftliche und unternehmerische Gründe haben. Insgesamt ist sie aber ungerecht für einen großen Teil der Fahrgäste. Fragwürdig ist auch, ob Kunden auf diese Weise in Abos „gezwungen“werden sollten.
Diese Tarifreform muss deshalb schnellstmöglich noch einmal auf den Prüfstand kommen. Zwei Jahre mit einer Bilanz zu warten und zu hoffen, dass verärgerte Bürger bis dahin resigniert haben, ist nicht der richtige Weg. Augsburgs Politiker sind gefordert, sich zeitnah und konstruktiv mit den Protesten betroffener Nahverkehrskunden auseinanderzusetzen. Auch sie sollten nach Wegen für Nachbesserungen im neuen Tarifsystem suchen.