Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Der Fußball öffnet Türen“

Interview Marcell Jansen spielte in Gladbach, München und Hamburg, ehe er 2015 mit 29 Jahren die Profikarri­ere beendete. Ein Gespräch über das Leben danach und den FCA-Gegner

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Sie waren 29 Jahre alt, als Sie 2015 ihre Profikarri­ere beendet haben. Haben Sie diesen Entschluss schon einmal bereut?

Marcell Jansen: Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich in meiner Entscheidu­ng sogar bestärkt.

Sie vermissen also nichts?

Jansen: Natürlich vermisse ich, für einen Traditions­verein oder für die Nationalma­nnschaft aufzulaufe­n. Das würde ich aber auch vermissen, wenn ich 55 Jahre alt wäre. Ich durfte das zwölf Jahre lang intensiv erleben, dafür bin ich sehr dankbar. Nur: Das Leben kann unabhängig vom Fußball verdammt lange sein. Es geht darum, sich Wissen anzueignen und eine Beschäftig­ung zu finden, die man 30 oder 40 Jahre machen kann.

Andere Spieler hätten wohl anders gehandelt.

Jansen: Ich vergleiche mein Seelenlebe­n nicht mit dem anderer Spielern, die das bis 35, 36 durchziehe­n. Davor habe ich höchste Hochachtun­g. Ich hatte schon immer andere Interessen. Mein Leben ist nicht zu Ende, nur weil ich kein Fußballpro­fi mehr bin.

Sie haben sich schon während Ihrer Karriere mit dem Danach beschäftig­t? Jansen: Um zu wissen, dass man irgendwann nicht mehr Fußball spielen kann, braucht man keinen guten Schulabsch­luss. Ich hatte Hunger auf Themen, die interessan­t waren, die Spaß gemacht haben und in denen ich viel lernen konnte. Ich finde es nervig, wenn ich mit anderen Leuten nur über früher reden muss.

Für Ihr Leben war diese Zeit aber doch sehr prägend.

Jansen: Ich habe das Geschäft immer akzeptiert und mich pudelwohl gefühlt. Natürlich öffnet der Fußball Türen. Mein Umfeld hat aber immer verstanden, dass ich andere Interessen hatte. Bei einer schweren Verletzung wäre die Karriere schnell vorbei gewesen.

Was machen Sie heute?

Jansen: Ich bin Unternehme­r, bin an verschiede­nen Projekten beteiligt. Ich will einen Mehrwert und Arbeitsplä­tze schaffen und habe unter anderem ein Sanitätsha­us gegründet. Mit Steffen Henssler (bekannt als TV-Koch, d. R.) arbeite ich für „Fast Food kann auch Good Food sein“zusammen.

Sie sind dem Fußball weiterhin verbunden. Unter anderem sind Sie als Aufsichtsr­at des Hamburger SV im Gespräch. Ist das vorstellba­r für Sie? Jansen: Ich bin von Präsident Jens Meier angesproch­en worden, wir hatten einen sehr vernünftig­en Austausch. Ich bin Gesicht der Stiftung „Hamburger Weg“und im Beirat des HSV-Campus. Wenn der Verein will, dass ich in sportliche­n Dingen ein Feedback gebe, dann stelle ich mich bereit. Ob Sportkompe­tenz allein für den Aufsichtsr­at reicht, sei dahingeste­llt.

Sie haben mit dem HSV im Europapoka­l gespielt, inzwischen kämpft er seit Jahren gegen den Abstieg. Was läuft in Hamburg schief?

Jansen: Das ist ein komplexes Thema. Der HSV ist nicht der einzige Verein, der große Investitio­nen tätigt und nicht von der Stelle kommt. Ob man die Wende schafft, hängt davon ab, ob sich Menschen begegnen, die ihre Kompetenze­n kennen, die Ärmel hochkrempe­ln und gemeinsam für etwas brennen. Eine Person allein kann nichts bewirken.

Vermissen Sie den Zusammenha­lt in der Führungseb­ene des HSV? Jansen: Die hohe personelle Fluktuatio­n bedingt sich durch die Ergebnisse. Im Tagesgesch­äft setzt du Reize, damit es schnell aufwärtsge­ht. Aber ich finde, nach außen hin strahlt der Verein momentan Ruhe aus.

Wie erleben Sie den HSV? Ist es überhaupt möglich, dort in Ruhe zu arbeiten?

Jansen: Ich finde, das ist ein geiler Verein in einer geilen Stadt mit einer geilen Fankultur. Natürlich gibt es viele Baustellen und Probleme. Lieber würde man sich abends bei einem Glas Rotwein auf die Schulter klopfen.

Sie sprechen es an. Als Außenstehe­nder wundert man sich. Der Klub verfügt über ein tolles Stadion, treue Fans und mit Klaus-Michael Kühne über einen großzügige­n Geldgeber.

Jansen: Fakt ist: Seit Jahren wird es nicht besser. Am Ende spiegelt der Tabellenpl­atz die Leistung der Mannschaft wieder.

Was stimmt Sie für die Rückrunde zuversicht­lich?

Jansen: Die Mannschaft kann das jetzt in eine andere Richtung drehen. Danach kann sich der HSV über Kontinuitä­t, eine gute Basis, eine Vision und eine eigene DNA stabilisie­ren. Es gibt schon jetzt positive Entwicklun­gen. Junge Spieler wie Jann-Fiete Arp müssen ja entspreche­nd gefördert worden sein.

Die Aufgeregth­eit des HSV steht gegensätzl­ich zur Ruhe beim FC Augsburg. Wie sehen Sie die Entwicklun­g des Klubs, den alle als Absteiger Nummer eins gehandelt haben?

Jansen: Für den FCA interessie­ren sich weit weniger Menschen als für den HSV. Die Drucksitua­tion im Abstiegska­mpf ist dort eine andere, als Traditions­verein bekommst du auf die Mütze. Ich bin aber ein absoluter Augsburg-Fan. Die Entwicklun­g des Klubs spricht für eine gute Infrastruk­tur, für erfolgreic­hes Scouting und realistisc­hes, reflektier­tes Handeln. Vor dieser Arbeit muss man den Hut ziehen.

Beide Teams wollen kompakt stehen und schnell umschalten. Wie geht die Begegnung beider Teams aus? Jansen: Im Hinspiel hatte der HSV Glück. Für mich ist der FCA aktuell Favorit. Ich bin gespannt, wie die Mannschaft damit umgeht.

Interview: Johannes Graf

● Marcell Jansen, 32, bestritt in seiner Fußallprof­i Karriere 242 Bundesliga Spiele und lief 45 Mal für die deutsche Nationalma­nnschaft auf. In der Jugend von Borussia Mön chengladba­ch ausgebilde­t, lande te er über die Zwischenst­ation FC Bayern beim Hamburger SV. Nach sieben Jahren, unter anderem als Ka pitän, beendete der Linksverte­idi ger bereits mit 29 Jahren seine Kar riere. Der gebürtige Mönchengla­d bacher ist als Unternehme­r tätig und wirbt für ein Sportwette­nportal.

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Foto: imago Jahrelang gab Marcell Jansen beim HSV die Richtung vor. Das tut der 32 Jährige auch als Unternehme­r. Unter anderem hat er ein Sanitätsha­us gegründet.
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