Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie wird die Ausbildung attraktiver?
IHK Neujahrsempfang Lehrlinge sind die Fachkräfte von morgen, das wissen Unternehmen. Doch viele Jugendliche wollen lieber studieren. Das lässt sich ändern, sagt ein Experte
Augsburg Als Präsident der Industrieund Handelskammer Schwaben müsste Andreas Kopton eigentlich keine Probleme mit dem Thema duale Ausbildung haben. Hat er aber – zumindest ein bisschen. So erzählte Kopton auf dem Neujahrsempfang der IHK gestern Abend im Kongress am Park in Augsburg von einer Szene am heimischen Frühstückstisch. Seine Tochter sei gerade in der 9. Klasse, genau im richtigen Alter, um eine Lehre anzufangen. Als er ihr das vorschlug, antwortet sie: „Bist du betrunken?“Kopton: „Warum denn nicht?“Tochter: „Weil du mir gesagt hast, dass ich sonst an der Supermarktkasse lande.“Und das, so der IHKPräsident, sei leider wahr. Gegenüber der Lehre gibt es viele Vorurteile.
„Um das Image der Ausbildung zu verbessern, müssen wir nicht bei den Schülern anfangen, wir müssen bei den Eltern beginnen. Sogar bei mir“, sagt Kopton und erntet Gelächter. Was Kopton, dessen beide anderen Kinder sehr wohl eine Ausbildung gemacht haben, als Beispiel anführt, ist ein Problem, das viele Unternehmer beschäftigt. Die Lehre hat ein Imageproblem. Dabei sind die Unternehmen auf Auszubildende angewiesen, sie sind die Fachkräfte von morgen. Zeit also, um einmal Bilanz zu ziehen, was das System der Berufsausbildung betrifft. Dafür hatte sich die IHK Professor Friedrich Esser, Präsident des Bonner Bundesinstituts für Berufsbildung und gelernter Bäcker, als Festredner eingeladen. Seine These: Vor allem Kleinst- und Kleinunternehmer tun sich zunehmend schwer, Auszubildende zu finden.
„Viele Großbetriebe erzählen uns, dass sie nach wie vor mehr Bewerbungen bekommen, als sie Lehrstellen anbieten“, sagt Esser. Die Kleinen hingegen finden kaum Azubis. Und warum? Weil sich viele Jugendlichen von einem höheren Abschluss, also einem Studium, bessere Karrierechancen erhoffen, so der Professor. Und weil sie bei Großbetrieben davon ausgehen, dass diese in der Ausbildung den neusten Stand der Technik anbieten, bessere Aufstiegschancen ermöglichen und mehr Gehalt bezahlen.
„Deshalb müssen sich die kleinen Unternehmen vernetzen, sie müssen sich zusammentun und sie müssen auf übergeordnete Institutionen wie die IHKs zurückgreifen, damit sie eine Chance haben gegen Großbetriebe und Hochschulen.“Denn die Kleinen, so Esser, sind das Rückgrat der Wirtschaft.
Allerdings warnt Esser auch davor, die Schuld für die sinkende Zahl der Lehrlinge vorschnell in einem Akademisierungswahn zu suchen. „Wenn ich als Bäcker jeden Tag meine Auslage mit meiner Ware bestücke und die Kunden laufen alle zu meinem Konkurrenten, dann kann ich sagen: Die sind alle wahnsinnig. Aber das wird nichts ändern“, sagt er. Stattdessen müsse man nach eigenen Fehlern suchen und sie beheben.
„Die Digitalisierung ist die Chance, die Ausbildung wieder attraktiv zu machen“, schlägt Esser vor. Weil sie Berufsbilder ändere und Jugendlichen das biete, was sie suchten. Dass die Zahl der Lehrlinge vergangenes Jahr wieder leicht gestiegen sei – im Bereich der IHK Schwaben sogar um 2,6 Prozent –, sei ein Hoffnungsschimmer, aber kein Zeichen für eine Trendwende. Denn ein Imagewandel brauche Zeit. Mindestens 15 Jahre, schätzt Esser.