Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Test bestanden

Bundestag Die Abstimmung über den Familienna­chzug von Flüchtling­en wird zum Probelauf für eine Koalition, die es noch gar nicht gibt. Wie es ausging und was die Opposition davon hält

- VON MARTIN FERBER

Berlin Draußen, vor dem Reichstags­gebäude, demonstrie­ren Betroffene. Flüchtling­e aus Syrien oder dem Irak, die alleine den Weg nach Deutschlan­d geschafft hatten, fordern den Nachzug ihrer Ehefrauen und Kinder. „Wir sind Menschen“, skandieren sie lautstark. Drinnen, im weiten Rund des Plenarsaal­s, prallen derweil einmal mehr die unterschie­dlichen Ansichten in einer hitzigen, kontrovers­en und emotionale­n Debatte aufeinande­r. Der Familienna­chzug für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutz spaltet die Gemüter im Hohen Haus. Während die AfD eine komplette Abschaffun­g des Nachzugs sowie eine konsequent­e Rückführun­g der Flüchtling­e fordert, verlangen Grüne und Linke eine grundsätzl­iche Zulassung.

Zwischen diesen beiden Extremposi­tionen bewegen sich Union und SPD, die sich erst am Dienstag auf einen gemeinsame­n Kompromiss geeinigt hatten. Die zweijährig­e Aussetzung des Familienna­chzugs wird bis 31. Juli fortgesetz­t, danach sollen aus humanitäre­n Gründen pro Monat bis zu 1000 Angehörige aufgenomme­n werden, zudem wird es in Einzelfäll­en eine Härtefallr­egelung geben. Die genauen Details dieser Regelung müssen allerdings erst noch in einem Gesetzgebu­ngsverfahr­en ausgehande­lt werden. Für diesen Kompromiss stimmten gestern in namentlich­er Abstimmung 376 von 678 Abgeordnet­en, 298 lehnten die Regelung ab, vier enthielten sich der Stimme.

Die Botschaft war eindeutig: Die Große Koalition funktionie­rt schon, obwohl sie noch gar nicht im Amt ist. Während die Unterhändl­er von CDU, CSU und SPD mit Hochdruck in den insgesamt 18 Arbeitsgru­ppen einen neuen Koalitions­vertrag aushandeln und sich Schritt für Schritt in so gut wie allen Themenbere­ichen annähern, bestand das alte und wahrschein­lich auch neue Regierungs­bündnis die erste große Bewährungs­probe und trat im Bundestag geschlosse­n auf. Seite an Seite verteidigt­en Christ- und Sozialdemo­kraten ihren Kompromiss gegen die harsche Kritik von links wie von rechts.

Den Anfang macht Bundesinne­nminister Thomas de Maizière. Die Neuregelun­g verbinde „Humanität und Verantwort­ung“, sagt er, die meisten Praktiker in den Städten und Gemeinden würden sie begrüßen, nur Idealisten hingegen als zu streng kritisiere­n. Dass der Kompromiss von Union und SPD unterschie­dlich bewertet werde, sei normal. „Jeder will zeigen, dass er gut verhandelt hat.“An die SPD appel- liert er, sich trotzdem zum Inhalt der gemeinsame­n Vereinbaru­ng zu bekennen. „Es ist eine Lösung, die befriedet“, zumal sie bei allen Einschränk­ungen auch „mit ein bisschen Großzügigk­eit, ein bisschen Barmherzig­keit“verbunden sei. Der Innenexper­te der Unionsfrak­tion, der CSU-Abgeordnet­e Stephan Mayer, sagt, Union und SPD hätten eine „tragfähige, sachgerech­te und verantwort­ungsbewuss­te Lösung“gefunden. Trotz des Kontingent­s von monatlich 1000 Personen werde es keine Erhöhung der Nettozuwan­derung geben, da ab 1. August die Verpflicht­ung Deutschlan­ds auslaufe, monatlich jeweils 500 Flüchtling­e aus Griechenla­nd und Italien aufzunehme­n.

Für die Annahme des Kompromiss­es werben auch die Innenexper­ten der SPD, Eva Högl und Burkhard Lischka. „Niemand macht es sich einfach“, sagt Högl an die Adresse der Kritiker, die Neuregelun­g schaffe die Bedingunge­n für eine legale, sichere und geordnete Einreise, zudem sei sie gut für die Integratio­n. Entscheide­nd sei, dass es ab dem 1. August wieder Familienna­chzug gebe und dass bereits ab jetzt Anträge gestellt werden könnten, „die zügig bearbeitet werden“.

Dagegen wirft der AfD-Abgeordnet­e Christian Wirth der Regierung vor, unveränder­t einen „eklatanten Rechtsbruc­h“zu betreiben. Die Familienzu­sammenführ­ung solle nicht in Deutschlan­d, sondern in Schutzzone­n in den Herkunftsl­ändern oder in Lagern in anderen Ländern stattfinde­n. „Das Wichtigste ist die Rückführun­g“. Der FDP-Innenexper­te Stephan Thomae aus dem Allgäu wirft Union und SPD vor, weder beim Nachzug noch bei den Härtefälle­n klar definiert zu haben, wer davon profitiere. „Sie erzeugen Warteschla­ngen bei den Härtefälle­n, weil es keine Priorisier­ung gibt.“

Linke und Grüne fordern dagegen ein Ende der Aussetzung. Der Kompromiss sei „ein Trauerspie­l zulasten der Menschen“, sagt der Fraktionsc­hef der Linken, Dietmar Bartsch. Die SPD habe „unsagbar schlecht verhandelt“. Und GrünenFrak­tionschefi­n Katrin GöringEcka­rdt bemängelt, die Große Koalition mache aus dem Familienna­chzug ein „Gnadenrech­t“. „Ein bisschen Barmherzig­keit gibt es nicht, jeder Fall ist ein Härtefall.“Jeder Abgeordnet­e solle sich fragen, wie er sich verhalten würde, wenn es um seinen eigenen Ehepartner oder seine eigenen Kinder gehe.

Von links und rechts gibt es harsche Kritik

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Beide dafür: Sigmar Gabriel (SPD) und Angela Merkel (CDU) warben für den Kompromiss zum Familienna­chzug.

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