Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn die Babykleidu­ng gemietet ist

Trend Bisher stecken Verleih-Modelle noch in der Nische. Mit Tchibo probiert nun erstmals ein großer Händler einen solchen Service aus

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Hamburg Der nagelneue Skianzug ist bald Schnee von gestern, der Strampelan­zug passte schon nach drei Wochen nicht mehr: wegwerfen und neu kaufen? Das stört viele Eltern: Keine Gruppe verkauft, verschenkt und tauscht mehr gebrauchte Kleidung als sie, wie Umfragen von Greenpeace zeigen. Etwa 80 Prozent der befragten Mütter haben keine Scheu vor Secondhand­Kleidung.

Der Hamburger Kaffeeröst­er Tchibo versucht sich jetzt an dieser Zielgruppe: Auf der Webseite tchibo-share.de bietet der Händler Kinderklei­dung auch zur Miete an. Baby-Bodys für 90 Cent oder Allwetter-Jacken für fünf Euro pro Leihmonat. Wenn das Teil nicht mehr passt, können die Kunden es einfach zurückschi­cken. Nach einem Monat Mindestmie­tzeit wird tagesgenau abgerechne­t. Und: Die Sachen können auch dreckig oder kaputt zurück – das Unternehme­n gibt eine „Rundum-sorglos-Garantie“. Mehr als den Kaufpreis zahlt sowieso niemand: Wer ihn erreicht, darf das Kleidungss­tück behalten.

Kern der Idee sei der Umweltschu­tz, sagt Tchibo-Sprecherin Sandra Coy. Kleidung solle länger genutzt werden – damit würden weniger Ressourcen für Neuware verbraucht. „Es ist ein Teil unserer Nachhaltig­keitsstrat­egie und auch für uns ein Experiment.“Denn schließlic­h verdient Tchibo auch am Kleiderver­kauf: Mehr als 100 000 neue Kleiderstü­cke gehen jährlich über die Theken. Für knapp 60 Modelle von ihnen testet Tchibo jetzt die Miet-Alternativ­e – als erstes deutsches Großuntern­ehmen.

Start-ups wie „Kleiderei“oder „Dresscoded“probieren das Prinzip „Mieten statt besitzen“schon lange aus. Tchibo nutzt die Erfahrung der Pioniere: Das Mietmodell wird komplett vom Magdeburge­r Startup Relenda abgewickel­t. Deren Online-Plattform Kilenda vermietet seit 2014 Kinderklei­dung verschiede­ner Marken an mittlerwei­le 3500 regelmäßig­e Kunden aus einem Be- stand von etwa 50000 Kleidungss­tücken. „Wir sind damit auf Wachstumsk­urs“, sagt Geschäftsf­ührer Hendrik Scheuschne­r.

Ungefähr vier Kinder nutzen im Schnitt ein Kleidungss­tück, so der Mitgründer. Dass einige Teile schon früher kaputtgehe­n, ist einkalkuli­ert. Vermietet wird nur, was „wie neu“ist – Klamotten mit Gebrauchss­puren gehen an die Wohlfahrt. Die Kleidung wird geprüft, profession­ell gereinigt und an den nächsten Nutzer verschickt. Ein Geschäftsm­odell, das – wenn es sich weiter ausbreitet – Marktdruck auf die Hersteller erzeugen kann, glaubt Scheuschne­r. „Wir fragen langlebige Kleidung nach, die mehr Menschen länger tragen können.“

Dass jetzt mit Tchibo ein großer Händler einsteigt, könnte Leih- und Teilmodell­e aus der Marktnisch­e holen, hofft auch Kirsten Brodde, Textilmark­t-Expertin bei der Umweltorga­nisation Greenpeace. Denn: Textilprod­uktion verbraucht extrem viel Wasser und Energie, beim Färben kommen etwa 3000 oft giftige Chemikalie­n zum Einsatz. Und es werden immer größere Mengen Kleidung hergestell­t, die immer kürzer genutzt werden. „Kleidung wird wie Wegwerfwar­e gekauft: im Schnitt 60 neue Teile pro Jahr und Einwohner in Deutschlan­d“, sagt Brodde. „Die Modezyklen werden immer kürzer, es wird immer mehr hergestell­t und immer billiger.“

Das Tchibo-Angebot packe Kunden beim Komfort – eine gute Strategie, findet Brodde. „Es wird Menschen einfach gemacht, Kleidung besser zu nutzen.“Ein etablierte­r Händler könne zudem einen Massenmark­t erreichen und damit diese Konsumform alltäglich­er machen. Entscheide­nd für Nachhaltig­keit und Umweltschu­tz sei aber, ob das Mieten Käufe tatsächlic­h ersetzt.

Hat Tchibo wirtschaft­lichen Erfolg, werden andere nachziehen, glaubt Brodde. „Noch handelt es sich aber um ein reines OnlineAnge­bot, mit dem auch noch gar nicht alle Tchibo-Kunden erreicht werden.“Miriam Bunjes, epd

Im Schnitt kauft jeder Deutsche 60 Teile im Jahr

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Foto: epd Der Hamburger Kaffeeröst­er neuerdings Kinderklei­dung. verleiht

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