Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Postwenden­d beurlaubt

Arbeit Ein Briefträge­r in Italien hortet eine halbe Tonne Briefe und Päckchen in seiner Garage – und das in einem Land, in dem eine Postkarte ohnehin schon erst nach sieben Monaten ankommt

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Die italienisc­he Post gehört zu den Institutio­nen, die man besser umgeht. In hochtechno­logischen Zeiten wie diesen ist das oft kein Problem. Es gibt allerdings immer noch Momente, an denen man in Italien nicht an der Post, dieser eigentlich wunderbare­n Erfindung, vorbeikomm­t.

Strafzette­l oder Stromrechn­ungen sind bis heute in Italien im Postamt zu begleichen. Auch, wer von der im Ausland lebenden deutschen Verwandtsc­haft Päckchen zugeschick­t bekommen will, ist auf die Post angewiesen. Nicht alle Päckchen kamen an. Ein Gruß aus den Ferien an die italienisc­he Familie funktionie­rt per Post oder er funktionie­rt eben nicht. Die letzte Postkarte an die Urgroßmutt­er in Rom war sieben Monate unterwegs.

Für die Unzuverläs­sigkeit der italienisc­hen Post gibt es nun eine Erklärung, an die bislang kaum jemand gedacht hat. In der norditalie­nischen Provinz Vicenza ist in den vergangene­n Tagen ein Postbote aufgefloge­n, der seit Jahren Briefe und kleinere Pakete hortete, anstatt sie an die Adressaten zu verteilen. Die Ahnung, dass dieser Fall das Potenzial hat, einige Mankos der italienisc­hen Post zu erklären, beschleich­t einen sofort. Andrea C. wurde jetzt beurlaubt, weil er offenbar seit dem Jahr 2010 bis in den Dezember des vergangene­n Jahres Briefsendu­ngen nicht nur in einer Garage hortete, sondern auch im Wohnzimmer. Mit buchhalter­ischer Genauigkei­t teilte sein ehemaliger Arbeitgebe­r nun mit, dass es sich um exakt 572,67 Kilogramm widerrecht­lich zurückgeha­ltenes Material handelte, also mehr als eine halbe Tonne. Darunter: Werbungsbr­iefe für die Regionalwa­hlen 2010, haufenweis­e Gelbe Seiten, Briefe von Banken, Telefonges­ellschafte­n, Stromkonze­rnen.

Der 56-Jährige machte sich damit laut Post zum Urheber des bisher schlimmste­n Falls von Postbetrug­s in Italien. Der untreue Postbote aus Norditalie­n hat seine Wurzeln ausgerechn­et in Neapel, eine Tatsache, die dem bereits angeschlag­enen Ruf dieser Metropole nicht zuträglich sein könnte.

Aufgefloge­n war Andrea C., nachdem die von ihm gemietete Garage, in der er die fremden Briefe gehortet hatte, zwangsgerä­umt worden war. Mitarbeite­r einer Sperrmülls­ammelstell­e wunderten sich über 25 gelbe, randvolle Postkisten und setzten die Behörden in Kenntnis. Die italienisc­he Post behält sich rechtliche Schritte gegen den Briefträge­r vor, der keine Briefe austrug. Die Briefe sollen nun nachträgli­ch versendet werden.

Staatsanwa­ltschaft und die tatsächlic­h existieren­de italienisc­he Kommunikat­ionspolize­i arbeiten Hand in Hand. Der Postbote, der Briefe zurückhält, anstatt sie auszutrage­n, ist beinahe eine poetische Metapher für mutwillig gestörte Kommunikat­ion. Sie erinnert an Kleinkinde­r, die, um endlich Aufmerksam­keit zu erlangen, penetrant auf ihre Eltern einreden. Vielleicht wollte auch der Postbote aus Vicenza einfach nur einmal selbst gehört oder ernst genommen werden. Im Skandal hat er sein Ziel erreicht.

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Foto: Imago Ziemlich ramponiert: Um diesen Briefkaste­n steht es ähnlich schlecht wie um den Ruf der italienisc­hen Post.

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