Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine Doku mit weitreiche­nden Folgen?

TV Während noch über die Wirkung von „Malvina, Diaa und die Liebe“diskutiert wird, warnt der Autor des Films vor einer „AfD-Schere im Kopf“und eine Expertin vor „Zuckerwatt­efernsehen“

- VON TILMANN P. GANGLOFF

Wohl noch nie hat hierzuland­e eine Dokumentat­ion fürs Kinderfern­sehen eine derartige Debatte ausgelöst wie „Malvina, Diaa und die Liebe“. Ein Film über die Romanze zwischen einem christlich­en deutschen Mädchen und einem geflüchtet­en Moslem aus Syrien. Diaa erhielt Morddrohun­gen.

Für AfD-Politiker Dirk Spaniel, einen der Hauptkriti­ker, zeigt der Film, der bereits Ende November im KiKA – einem Gemeinscha­ftsprogram­m von ARD und ZDF – lief: Eine Deutsche ordne sich einem Moslem unter. Der Film: „gefährlich­e Propaganda der Staatsmedi­en“.

Für Joachim von Gottberg, evangelisc­her Theologe und Professor für Medienethi­k an der Martin-Luther-Universitä­t Halle-Wittenberg, belegt die noch immer (polemisch) geführte Debatte „wieder einmal den uralten Irrglauben, Medien wirkten linear“. In dem Fall hieße das: „Alle jungen Zuschaueri­nnen wollen Malvinas Vorbild nacheifern. Das ist natürlich Unfug.“

Diese Meinung wird durch eine Studie des Internatio­nalen Zentralins­tituts für das Jugend- und Bildungsfe­rnsehen (IZI) bestätigt: Demnach reagierten hundert befragte Kinder im Alter zwischen acht und 13 Jahren sehr sensibel auf die Doku. Deren Wirkung war anders, als etwa rechtspopu­listische Kritiker vermuten: Die Mehrheit der befragten Mädchen lehnte eine Beziehung zu einem Jungen wie Diaa, der Ansichten eines konservati­ven Islam vertrat, ab.

Während über die Wirkung des Films diskutiert wird, stellt sich Medienexpe­rten und Medienscha­ffenden noch eine ganz andere Frage: Welche Konsequenz­en hat die Debatte über die Doku für das Kinderfern­sehen? Im Gespräch mit unserer Zeitung warnt IZI-Leiterin Maya Götz vor „US-amerikanis­chen Verhältnis­sen“. „Dort wird jedes Drehbuch durchleuch­tet, ob sich irgendwo etwas findet, worüber sich jemand ereifern könnte“, sagt sie. „Die Folge davon wäre Zuckerwatt­efernsehen.“

Auch Marco Giacopuzzi, der Autor der Doku, fände es fatal, wenn die Sender nun jeden Vorschlag „erst mal darauf hin abklopfen, ob irgendeine politische Seite einen Aufhänger für eine Kampagne finden könnte“. Nach den heftigen Diskussion­en um seinen Film – der ausschließ­lich aus O-Tönen besteht und an dem deshalb das Fehlen einer Einordnung kritisiert wird – sagt er: „Ich kann nur an die Redaktione­n appelliere­n, sich auch in Zukunft ohne AfD-Schere im Kopf mit heiklen Stoffen auseinande­rzusetzen.“

Giacopuzzi meint: Es sei „ganz wichtig, dass das Kinderfern­sehen weiterhin alle Themen aufgreift, mit denen sich Jugendlich­e beschäftig­en, und zwar mit sämtlichen Widersprüc­hen, die solche Stoffe oft mit sich bringen“.

Astrid Plenk, KiKA-Programmge­schäftsfüh­rerin, teilt diese Auffassung. Die unterschie­dlichen Perspektiv­en von Kindern und Erwachsene­n dürften keinesfall­s miteinande­r vermischt werden, sagt sie. „Kinder müssen mündige, kritische, selbstbewu­sste und eigenständ­ige Haltungen entwickeln können.“Was bedeutet: Dokus wie „Malvina, Diaa und die Liebe“werden auch künftig ohne „Gebrauchsa­nweisung“im KiKA ausgestrah­lt.

Auch Michael Stumpf, Leiter des Kinderfern­sehens im ZDF, sagt: Um das Leben in einer multikultu­rellen Gesellscha­ft für junge Zuschauer nachvollzi­ehbar aufbereite­n zu können, seien Programmma­cher auf nahbare Menschen und deren persönlich­e Sichtweise angewiesen.

Stumpf fürchtet jedoch, dass es jetzt schwierige­r werden könnte, solche Menschen zu finden: „Die Dynamik in den sozialen Netzwerken und der Hass von rechts setzen genau hier an. Diese Menschen wollen Andersdenk­ende und Anderslebe­nde in Angst versetzen und zum Schweigen bringen. Das darf unsere Gesellscha­ft nicht akzeptiere­n.“Diese Worte werden sicher nicht die letzten zu dem Thema bleiben.

„Kinder müssen eigenständ­ige Haltungen entwickeln.“Astrid Plenk, KiKA

 ?? Foto: H. Schmidt, dpa ?? Der KiKA, ein Gemeinscha­ftsprogram­m von ARD und ZDF, steht seit Wochen in der Kritik wegen einer Doku über ein junges deutsch syrisches Paar.
Foto: H. Schmidt, dpa Der KiKA, ein Gemeinscha­ftsprogram­m von ARD und ZDF, steht seit Wochen in der Kritik wegen einer Doku über ein junges deutsch syrisches Paar.
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