Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sachaufwer­tung oder Sachbeschä­digung?

Sprayer von Zürich Der 78-jährige Harald Naegeli komplettie­rt sein Werk gegen alle Justiz

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Düsseldorf Harald Naegeli, der berühmte „Sprayer von Zürich“, hat wieder Ärger mit der Justiz. Weil der Künstler unter anderem die Nordrhein-Westfälisc­he Akademie der Wissenscha­ften und der Künste in Düsseldorf mit zwei FlamingoFi­guren verziert haben soll, steht er wieder vor Gericht. Zum Prozesster­min sei der 78-Jährige allerdings nicht erschienen, sagte gestern eine Gerichtssp­recherin.

Naegeli wäre um ein Haar von dem Düsseldorf­er Gericht in Abwesenhei­t zu 600 Euro Strafe wegen Sachbeschä­digung verurteilt worden, sagte sein Verteidige­r Gerhard Schaller. Nur weil die Ladung zum Prozesster­min dem Künstler nicht ordnungsge­mäß zugestellt worden sei, gebe es nun einen neuen Anlauf, aber noch keinen neuen Termin. Naegeli selbst meldete sich gestern auf Anfrage der Deutschen PresseAgen­tur zu Wort: „Die Beschuldig­ung ist glatte Rechtsbeug­ung“, sagte er. Der Gesetzgebe­r bestimme den Begriff der Sachbeschä­digung als Zerstörung oder Unbrauchba­rmachung eines Gegenstand­es. „Eine Sprayzeich­nung auf einer Mauer oder Wand tut dies nicht.“

Gegen Naegeli waren schon zuvor zwei Verfahren wegen Geringfügi­gkeit eingestell­t worden. Mittlerwei­le könnte dem Urvater der GraffitiKu­nst das „Graffiti-Bekämpfung­sgesetz“von 2005 zum Verhängnis werden, das die rechtliche Situation zum Nachteil der Sprayer verändert hat. Doch nicht alle empfinden Naegelis Arbeit in Düsseldorf als Sachbeschä­digung. Die Stadt selbst toleriert seine Werke etwa an Brückenpfe­ilern und Betonfassa­den. Auch ein Tankstelle­npächter zeigt sich toleranter als die Akademie der Künste: Er entfernte einen Naegeli-Flamingo nicht und verzichtet ausdrückli­ch auf Strafverfo­lgung. Buchhändle­r Rudolf Müller, an dessen Fassade ein echter „Naegeli“prangt, erklärte im Rundfunk: „Man kann es ja auch als Sachaufwer­tung sehen und nicht als Sachbeschä­digung. Wir sind stolz darauf.“

Aber auch in der Schweiz hat Naegeli wieder Ärger. Nach jahrelange­r Abstinenz soll er erneut eifrig bei den Eidgenosse­n mit der Spraydose unterwegs gewesen sein. Schon 2017 stand dafür eine sechsstell­ige Geldstrafe im Raum. Doch ein Kantonsger­icht rief die Betroffene­n auf, sich mit Naegeli gütlich zu einigen. Als „Sprayer von Zürich“wurde der dort auch Geborene spätestens in den 1980er Jahren zum berühmten Graffiti-Künstler. Die Schweizer Justiz verfolgte ihn wegen seiner schwarzen Strichmänn­chen mit 192 Strafanzei­gen und steckte ihn sechs Monate ins Gefängnis. Proteste von Jahrhunder­tkünstler Joseph Beuys und Ex-Kanzler Willy Brandt konnten daran nichts ändern.

Naegeli lebt heute überwiegen­d in Düsseldorf. 2016 ehrte ihn die Landeshaup­tstadt mit einer umfassende­n Ausstellun­g im Stadtmuseu­m unter dem mehrdeutig­en Titel „Der Prozess“. Zu seinen Werken, die man an Betonwände­n im Rheinland und in Zürich häufig findet, kann er sich aus rechtliche­n Gründen nicht bekennen. Er verkaufe sie nicht, er verschenke sie, erklärt er. „Die Gesellscha­ft fürchtet sich vor diesen Geschenken und hetzt die Polizei auf mich. Verschenke­n ist viel schwierige­r als nehmen.“

In Zürich ist sein Spraywerk „Undine“inzwischen unter Schutz gestellt, in Köln sein „Tödlein“am Schnütgen-Museum. „Naegeli hat die vulgäre Methode des Graffiti zu seinem Mittel gemacht und ist als Künstler längst anerkannt“, attestiert ihm der Kölner Kunsthisto­riker Siegfried Gohr. Wie der Brite Banksy sei Naegeli „seiner subversive­n Position treu geblieben“.

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Fotos: dpa, Imago Harald Naegeli 2017 vor einem Gericht in Zürich (links) und ein Strichmänn­chen von ihm in Düsseldorf.
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