Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Abgrenzung statt Interkultu­r

Debatte Mit einem Gastspiel und einer Lesung sprachen in letzter Zeit zwei Veranstalt­ungen Augsburgs türkischsp­rachiges Publikum an. Das spiegelt Öffnung. Aber ist es auch Vielfalt?

- VON STEFANIE SCHOENE feuilleton@augsburger allgemeine.de

Es sollte eine Premiere sein: Der Verein Atasanat, 2017 gegründet von Deutschtür­ken der zweiten und dritten Generation, verkündete die Eröffnung einer neuen, türkischen Bibliothek in den Räumen der Stadtbüche­rei Augsburg. In den sozialen Medien betonten die Verantwort­lichen auf Türkisch vorab, die Einrichtun­g sei neu. Tatsache ist jedoch: Eine türkische Sektion mit zuletzt 430 Büchern gibt es schon seit über 25 Jahren. Neu ist lediglich die Spende, mit der Atasanat diesen 90 weitere türkische Titel hinzufügte, darunter auch Übersetzun­gen von Goethe, John Steinbeck und Franz Kafka.

Auch ein türkischer Lesetag, mit dem Atasanat am letzten Wochenende seine Spende feierte, ist nicht ganz neu. Fikret Yakaboylu hatte in den letzten Jahren bereits mehrere Kinderlese­tage initiiert. Doch Atasanat zog mehr als 100 Interessie­rte in die Stadtbüche­rei, auch eine Handvoll Menschen mit deutschem Hintergrun­d fand sich ein. Lebensgroß­e Konterfeis von Republikgr­ünder Mustafa Kemal und die türkische Fahne rahmten die Bühne. Mit dessen Ehrentitel „Atatürk“(Vater der Türken) spielt auch Atasanat, „Kunst der Ahnen“. Aber passt ein so intensiver Rückgriff auf nationaltü­rkische Konzepte mit der interkultu­rellen Öffnung zusammen, die die Stadtbüche­rei und andere kulturelle Institutio­nen der Stadt anstreben? Ist es schon Interkultu­r, wenn Theater und Bücherei Migrantenv­ereinen Räume und Bühnen zur Verfügung stellen?

Als Ziel geben die Verantwort­lichen an, für mehr Bildung unter türkischen Einwandere­rn sorgen zu wollen. „Wir wollen der deutschen Öffentlich­keit zeigen, dass die türkische Community aus mehr als nur Moscheever­einen besteht“, erklärt Atasanat-Mitgründer­in Didem Karabulut. Der auf Deutsch und Türkisch vorgestell­te Roman „Vögel mit gebrochene­n Flügeln“(Aise Kulin, 2016) jedenfalls ist eine deutsch-jüdisch-türkische Familiensa­ga, in der die Schlimanns 1933 aus Deutschlan­d in die Schweiz fliehen müssen. Der Vater, ein Arzt, erhält ein Stellenang­ebot der Universitä­t Istanbul ,und die Familie zieht an den Bosporus. Doch die anschließe­nde Diskussion fällt wieder ins Türkische. Auch geografisc­h. Denn die Jura-Doktorandi­n und Vereinsvor­sitzende Simge Kurt strukturie­rt sie mit drei Leitfragen zu den Mängeln nicht etwa des deutschen, sondern des türkischen (!) Bildungssy­stems. Diese seien letztlich mit einer Rückbesinn­ung auf die Ideen Atatürks zu beheben. Bei Atasanat scheint der Weg zur Interkultu­r noch weit.

Neben Moscheegem­einden, Aleviten, Assyrern, Kurden und Grauen Wölfen gibt es jetzt also auch eine kemalistis­che Organisati­on in der türkeistäm­migen Vereinslan­dschaft. Man könnte sagen, Vielfalt. Oder auch: Die Konfliktpa­rteien des Herkunftsl­andes sind komplett. Ginge Atasanat auf Moscheever­eine oder Assyrer zu, könnte ein interkultu­reller Dialog stattfinde­n. Doch ein Zuhörer hat da keine Hoffnung: „Mit keinem Wort erwähnen die Veranstalt­er selbstkrit­isch die kemalistis­che Verantwort­ung der letzten hundert Jahre. Mir stellen sich die Nackenhaar­e auf, wenn ich ihnen zuhöre.“Der Mann ist Assyrer und seit den 1970er Jahren im Mesopotami­enverein aktiv.

Genau fünf Jahre ist es her, dass ehemalige Projektlei­ter des städtiihre schen Friedensfe­sts Timo Koester dem Augsburger Stadtrat den „Leitfaden zur Interkultu­r“vorlegte. Manch einer fragte sich angesichts dessen, was aus der Kultur in Augsburgwe­rden soll. Eine zentrale Frage Koesters war: „Wie können Teile der Gesellscha­ft, die über eine kleine Elite hinaus gehen, für die Teilhabe am öffentlich subvention­ierten Kulturlebe­n gewonnen werden?“

Seither hat sich einiges getan: Der damalige Generalmus­ikdirektor Dirk Kaftan und das philharmon­ische Orchester erarbeitet­en die „Musikalisc­he Begegnung zwischen Orient und Okzident“mit dem Ensemble Sarband. Das Friedensfe­st 2013 startete mit einem weltweit wohl einmaligen Solokonzer­t für Baglama (Langhalsla­ute) und Orchester. Für die Verfechter der interkultu­rellen Öffnung war diese Produktion im Herzen des Theaters ein Meilenstei­n.

Die mit harten Bandagen geführte Auseinande­rsetzung um die Theatersan­ierung bescherte eine Öffnung für die freie, auch interkultu­relle Szene. Interkultu­relles war seither etwa in „Sounds of God“mit Bands aus nahöstlich­er und „Spiritual Jazz“-Tradition zu hören. Am vergangene­n Wochenende kam dann der Baglama-Meister Kemal Dinç mit seinem musikalisc­hen Erzählstüc­k „Anadolu’nun Yüzleri“(Gesichter Anatoliens). Dieses Gastspiel hielt interkultu­rell jedoch nicht, was es versprach, ging es doch nicht über die türkisch-osmanische Kultur und Geschichte hinaus, blieb aus hiesiger Sicht beinah monokultur­ell.

Wir sind – das zeigen jedenfalls die beiden Veranstalt­ungen der letzten Woche – immer noch dabei, uns kennenzule­rnen. Trotz der letzten 50 Jahre türkischer Migration: Die angestammt­e Bevölkerun­g kennt sich im Detail immer noch nicht aus. Aufgabe der Interkultu­r ist es, für mehr Geschmeidi­gkeit zu sorgen. Welche Formate funktionie­ren, das müssen Recherche und Kommunikat­ion ergeben. In einem erweiterte­n Kulturbegr­iff gälte schon das als Teil des künstleris­chen Prozesses. Gelingen kann das allerdings nur, wenn auch die andere Seite sich öffnet, nach innen wie nach außen. Die türkeistäm­mige Gemeinde in Augsburg ist mit 25000 Mitglieder­n groß genug, in sich kulturell und politisch vielfältig zu sein. Doch in den Vereinen regieren meist Abgrenzung und Kulturchau­vinismus gegenüber den „anderen“türkischen Lagern. Hier muss ein interkultu­reller Dialog her, möglichst auch Versöhnung. Wenn nicht hier, wo dann?

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Foto: Ulrich Wagner Eine Abteilung mit Romanen in türkischer Sprache gibt es in der Stadtbibli­othek.

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