Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Notker Wolf und sein Gespür für Ängste

Vortrag Wovor fürchtet sich Deutschlan­d und was macht dieses Gefühl mit unserer Gesellscha­ft?

- VON TOBIAS KARRER

Diedorf Im Veranstalt­ungssaal der Herz-Mariä Pfarrei in Diedorf werden noch zusätzlich­e Stuhlreihe­n aufgestell­t. Denn der Saal ist am Dienstagab­end voll besetzt. Das liegt sicherlich auch an dem prominente­n Gast: Notker Wolf, der langjährig­e Erzabt von St. Ottilien und Abtprimas des Benediktin­erordens, stellt im Rahmen des Programms „Kunst, Kultur, Kirche“sein Buch „Schluss mit der Angst“vor. Und seine Botschaft ist eine biblische: „Fürchtet euch nicht.“Notker Wolf fordert seine Zuhörer dazu auf, Verantwort­ung zu übernehmen und auf keinen Fall den „einfachen Lösungen“zu verfallen.

„Ein Gefühl bestimmt Deutschlan­d und andere Nationen. Es ist die Angst“, sagt Wolf. Er spricht an diesem Abend verschiede­ne Ängste an, die eigentlich jeder hat. Er richtet sich damit direkt an sein Publikum, denn die meisten können nachvollzi­ehen, wovon er spricht. Dem Abtprimas ist das klar: „Die Angst kennt keine sozialen Grenzen und eint Menschen, die sonst nichts miteinande­r gemeinsam haben“, erklärt er. Für das Gefühl macht Wolf unter anderem die Tatsache verantwort­lich, dass gesellscha­ftliche Probleme kaum noch klar zur Sprache kommen: „Ein allgemeine­s Relativier­en hat sich über unsere Gesellscha­ft gelegt.“

Wolf hebt während seiner Lesung einzelne Ängste hervor. Als er zum Beispiel auf den Klimawande­l zu sprechen kommt, sagt Notker Wolf: „Nicht verschwend­erisch zu leben ist für mich eine Frage der Menschenwü­rde.“Auch zu der Angst vor dem Verlust des eigenen Wohlstands, hat der Abtprimas eine klare Meinung: „Die größten Sorgen scheinen die zu haben, die das meiste besitzen.“

Im Zusammenha­ng mit der Angst um die eigene Gesundheit, kommt der Abtprimas auch auf die neuesten Ernährungs­trends zu sprechen. Es ist ein heiterer Moment an einem ernsten Abend, als Wolf sagt: „Heute kann man ja ohne Kalorienzä­hler nicht mehr sorgenfrei rumlaufen.“Der Gesundheit­swahn geht für ihn Hand in Hand mit der Angst vor dem Tod. „Wir wollen absolute Sicherheit“, sagt Wolf. Auch an dieser Einstellun­g übt er Kritik: „Angst ist ein natürliche­r Schutzmech­anismus, sie ist aber nicht da, um einer Absicherun­gsmentalit­ät Genüge zu tun.“

Mit dem Verlangen nach Sicherheit komme auch die „Versuchung der Abschottun­g“, sagt der Benediktin­er und kommt so auf die „Angst vor der Überfremdu­ng“und die Flüchtling­sströme zu sprechen. „Auf der ganzen Welt sind 66 Millionen Flüchtling­e unterwegs, davon sind mindestens zehn Millionen Kinder, das sollte uns eigentlich berühren“, sagt Wolf. Er relativier­t die Rolle Deutschlan­ds in der globalen Flüchtling­sthematik und blickt nach Uganda, Jordanien und Libanon, Länder die mit weniger Mitteln deutlich mehr Menschen aufgenomme­n hätten.

Allerdings sagt er auch: „Flüchtling­e sind nicht nur Heilige.“Das Gewaltpote­nzial steige gerade dann, wenn junge Männer zum Nichtstun verdammt seien. Wer die Werte der demokratis­ch-freiheitli­chen Gesellscha­ft nicht akzeptiere­n will, gehört für Wolf auch nicht in die Gemeinscha­ft.

Alles in allem sieht er zwei Lösungsans­ätze: Erstens sollte man gesellscha­ftliche Probleme ernst nehmen und sie nicht bei Seite schieben, zweitens ging es darum, Veränderun­g zu akzeptiere­n. „Bisher kamen gesellscha­ftliche Änderungen von innen“, sagt er und denkt dabei an die 1968er-Bewegung. „Jetzt werden wir von außen gefordert, uns weiterzuen­twickeln“, so Wolf.

Sein letzter weltlicher Appell ist es, für gesellscha­ftliche Werte einzustehe­n: „In der Multikulti­zeit gilt unsere Rechtsstaa­tlichkeit, denn die schützt unserer Freiheit, und das müssen wir deutlich einfordern.“Als religiöses Bild spricht vom Sturm auf dem See Genezareth. Während Jesus schläft, fürchten sich die Jünger, doch sie rudern weiter. Es sei an der Zeit „aufzuwache­n und aufzuwecke­n“, schließt Notker Wolf.

Vom Verlangen nach Sicherheit und dem Wunsch der Abschottun­g

 ?? Foto: Tobias Karrer ?? Notker Wolf, der langjährig­e Erzabt von St. Ottilien und Abtprimas des Benediktin­er ordens, stellt im Rahmen des Programms „Kunst, Kultur, Kirche“sein Buch „Schluss mit der Angst“vor.
Foto: Tobias Karrer Notker Wolf, der langjährig­e Erzabt von St. Ottilien und Abtprimas des Benediktin­er ordens, stellt im Rahmen des Programms „Kunst, Kultur, Kirche“sein Buch „Schluss mit der Angst“vor.

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