Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Notker Wolf und sein Gespür für Ängste
Vortrag Wovor fürchtet sich Deutschland und was macht dieses Gefühl mit unserer Gesellschaft?
Diedorf Im Veranstaltungssaal der Herz-Mariä Pfarrei in Diedorf werden noch zusätzliche Stuhlreihen aufgestellt. Denn der Saal ist am Dienstagabend voll besetzt. Das liegt sicherlich auch an dem prominenten Gast: Notker Wolf, der langjährige Erzabt von St. Ottilien und Abtprimas des Benediktinerordens, stellt im Rahmen des Programms „Kunst, Kultur, Kirche“sein Buch „Schluss mit der Angst“vor. Und seine Botschaft ist eine biblische: „Fürchtet euch nicht.“Notker Wolf fordert seine Zuhörer dazu auf, Verantwortung zu übernehmen und auf keinen Fall den „einfachen Lösungen“zu verfallen.
„Ein Gefühl bestimmt Deutschland und andere Nationen. Es ist die Angst“, sagt Wolf. Er spricht an diesem Abend verschiedene Ängste an, die eigentlich jeder hat. Er richtet sich damit direkt an sein Publikum, denn die meisten können nachvollziehen, wovon er spricht. Dem Abtprimas ist das klar: „Die Angst kennt keine sozialen Grenzen und eint Menschen, die sonst nichts miteinander gemeinsam haben“, erklärt er. Für das Gefühl macht Wolf unter anderem die Tatsache verantwortlich, dass gesellschaftliche Probleme kaum noch klar zur Sprache kommen: „Ein allgemeines Relativieren hat sich über unsere Gesellschaft gelegt.“
Wolf hebt während seiner Lesung einzelne Ängste hervor. Als er zum Beispiel auf den Klimawandel zu sprechen kommt, sagt Notker Wolf: „Nicht verschwenderisch zu leben ist für mich eine Frage der Menschenwürde.“Auch zu der Angst vor dem Verlust des eigenen Wohlstands, hat der Abtprimas eine klare Meinung: „Die größten Sorgen scheinen die zu haben, die das meiste besitzen.“
Im Zusammenhang mit der Angst um die eigene Gesundheit, kommt der Abtprimas auch auf die neuesten Ernährungstrends zu sprechen. Es ist ein heiterer Moment an einem ernsten Abend, als Wolf sagt: „Heute kann man ja ohne Kalorienzähler nicht mehr sorgenfrei rumlaufen.“Der Gesundheitswahn geht für ihn Hand in Hand mit der Angst vor dem Tod. „Wir wollen absolute Sicherheit“, sagt Wolf. Auch an dieser Einstellung übt er Kritik: „Angst ist ein natürlicher Schutzmechanismus, sie ist aber nicht da, um einer Absicherungsmentalität Genüge zu tun.“
Mit dem Verlangen nach Sicherheit komme auch die „Versuchung der Abschottung“, sagt der Benediktiner und kommt so auf die „Angst vor der Überfremdung“und die Flüchtlingsströme zu sprechen. „Auf der ganzen Welt sind 66 Millionen Flüchtlinge unterwegs, davon sind mindestens zehn Millionen Kinder, das sollte uns eigentlich berühren“, sagt Wolf. Er relativiert die Rolle Deutschlands in der globalen Flüchtlingsthematik und blickt nach Uganda, Jordanien und Libanon, Länder die mit weniger Mitteln deutlich mehr Menschen aufgenommen hätten.
Allerdings sagt er auch: „Flüchtlinge sind nicht nur Heilige.“Das Gewaltpotenzial steige gerade dann, wenn junge Männer zum Nichtstun verdammt seien. Wer die Werte der demokratisch-freiheitlichen Gesellschaft nicht akzeptieren will, gehört für Wolf auch nicht in die Gemeinschaft.
Alles in allem sieht er zwei Lösungsansätze: Erstens sollte man gesellschaftliche Probleme ernst nehmen und sie nicht bei Seite schieben, zweitens ging es darum, Veränderung zu akzeptieren. „Bisher kamen gesellschaftliche Änderungen von innen“, sagt er und denkt dabei an die 1968er-Bewegung. „Jetzt werden wir von außen gefordert, uns weiterzuentwickeln“, so Wolf.
Sein letzter weltlicher Appell ist es, für gesellschaftliche Werte einzustehen: „In der Multikultizeit gilt unsere Rechtsstaatlichkeit, denn die schützt unserer Freiheit, und das müssen wir deutlich einfordern.“Als religiöses Bild spricht vom Sturm auf dem See Genezareth. Während Jesus schläft, fürchten sich die Jünger, doch sie rudern weiter. Es sei an der Zeit „aufzuwachen und aufzuwecken“, schließt Notker Wolf.
Vom Verlangen nach Sicherheit und dem Wunsch der Abschottung