Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Frau Hölle
Langlauf Norwegerin Marit Björgen knackt Medaillen-Rekord. Und sie ist noch nicht fertig
Pyeongchang Wer geglaubt hätte, Marit Björgen würde an diesem für sie doch historischen Tag vielleicht einmal aus sich herausgehen und so etwas wie überschwängliche Freude zeigen, der irrte gewaltig. Selbst die Lobpreisungen ihrer Teamkolleginnen nach dem Staffelerfolg und die Huldigungen der norwegischen Medienvertreter nahm sie emotionslos hin, wie die Aufforderung, nach dem Interview-Marathon doch endlich zur Doping-Probe zu gehen. Aus ihrem olympischen Medaillenrekord, den sich die 37-Jährige mit der Goldmedaille über 4 x 5 Kilometer sicherte, mache sie sich nicht so viel – noch nicht: „Als Athlet schaust du immer nach vorn und nie zurück.“Vielleicht werde sie am Ende dieser Spiele schauen, was sie erreicht hat. Wir tun es jetzt schon und präsentieren die Königin der Loipe in Zahlen:
Eine der größten Qualitäten von
Sie kann alles. Olympisches Gold gewann sie in fünf verschiedenen Wettbewerben: Sprint (2010), Skiathlon (2010, 2014), Staffel (2010, 2018), Teamsprint (2014), 30 km Freistil (2014). Nicht mehr Olympiasiegerin werden kann sie über zehn Kilometer: Hier holte sie „nur“Silber (2006/klassisch) und Bronze (2018, 2018/jeweils Freistil).
So viele Olympiasiege wie Björgen hat keine andere Wintersportlerin erreicht. Auf Rang zwei liegt die frühere russische Langläuferin Ljubow Jegorowa (6). Die Norwegerin ist eine echte Dauerbrennerin, ihre ersten Spiele erlebte sie 2002 in Salt Lake City. Mit nun 37 Jahren nimmt die Mutter des zweijährigen Sohnes Marius Abschied von Olympia, wobei gut möglich ist, dass noch eine oder sogar noch zwei Goldmedaillen dazukommen: Im Teamsprint am Mittwoch und über 30 km klassisch am Schlusstag der Spiele am Sonntag gehört sie zu den Topfavoritinnen. Auch weil Björgen immer wieder für Überraschungen gut ist. Niemand hätte der Langstreckenspezialistin zugetraut, in der Staffel die sprintstarke Stina Nilsson so abzukochen, dass die Schwedin erst gar keine Chance hatte, ihre Qualitäten auf der Zielgeraden auszuspielen. Björgens Teamkollegin Ingvild Flugstad Östberg schwärmte: „Hölle, diese Frau. Sie ist mental und körperlich extrem stark.“
Nach dem Staffelgold steht
auf einer Stufe mit der norwegischen Biathlon-Legende Ole Einar Björndalen – beide haben 13 Olympiamedaillen gewonnen. „Sie ist eine unglaubliche Athletin und ein tolles Vorbild“, sagte Björndalen (8/4/1) über Björgen (7/4/2), „sie wird mich noch bei den Spielen in Südkorea hinter sich lassen. Da bin ich mir sicher“.
Die Norwegerin gilt als härteste Arbeiterin unter den Langläuferinnen. Andreas Schlütter, Sportlicher Leiter des deutschen Teams, weiß, dass Björgen bis zu 1000 Stunden im Jahr trainiert, allein 850 Stunden verwendet sie auf Ausdauer-Einheiten – so viel wie ihr Kollege Martin Johnsrud Sundby und fast ein Drittel mehr als die deutschen Frauen. Torstein Drivenes, DSVFrauen-Trainer aus Norwegen, ergänzt: „Wenn sie läuft, glaubt man nicht, was man sieht. Aber es ist das Ergebnis von viel, viel Training. Tag für Tag. Jahr für Jahr.“
So viele Packungen
hat nach Berichten des Fernsehsenders NRK das norwegische Olympiateam mit nach Korea genommen – für gerade einmal 121 Sportler. Auch Björgen ist Asthmatikerin, darf seit Jahren mit einer Ausnahmegenehmigung Medikamente nehmen. Das dürfte diejenigen bestärken, die Björgens Superleistungen mit großer Skepsis betrachten. Björgen („Ich muss nur einen Kraftraum sehen, dann lege ich schon an Muskelmasse zu“) zeigte in der Vergangenheit gerne ihre Oberarme, die einer Bodybuilderin zur Ehre gereichen würden. Hinzu kommt: Nach der Geburt ihres Sohnes Marius Ende 2015 wurde sie von Dopingkontrolleuren sieben Monate lang in Ruhe gelassen.