Augsburger Allgemeine (Land Nord)
In solcher Lage bricht der Mensch mit Gott
Joseph Roths „Hiob“ist in Ingolstadt auf der Bühne zu sehen. In der Inszenierung wächst ein Darsteller über sich hinaus
Ingolstadt Joseph Roths Roman „Hiob“wurde in der Bühnenfassung im Jahr 2008 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Regie führte damals Johan Simons, für die Textbearbeitung zeichnete der Dramaturg Koen Tachelet verantwortlich. Die Inszenierung wurde ein großer Erfolg, vor allem weil es dem Antwerpener Tachelet gelungen war, nahe an der Sprachkunst der Vorlage zu bleiben. Jetzt hat Jochen Schölch, Intendant des Metropoltheaters München, das Stück im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt herausgebracht – zur Begeisterung des Premierenpublikums.
Joseph Roth (1894-1939) erzählt in „Hiob“die Lebens- und Leidensgeschichte des armen jüdischen Lehrers Mendel Singer in einem russischen Schtetl. Ein Schicksalsschlag nach dem anderen ereilt den Gottesfürchtigen. Sein jüngstes Kind Menuchim kommt als schwachsinniger Epileptiker auf die Welt. Ein Sohn, Jonas, geht zum russischen Militär, der andere, Schermarja, setzt sich ab in die USA. Die Tochter Miriam treibt es mit Kosaken im Kornfeld. All dies ein Gräuel für den frommen Juden. Schließlich emigriert er mit seiner Frau Deborah und der Tochter nach New York, in der Hoffnung auf ein besseres Leben bei seinem erfolgreichen Sohn Schermarja.
Aber das Unheil ist mitgereist. Die beiden Söhne gehen im Ersten Weltkrieg an unterschiedlichen Fronten verloren. Die sexuell obsessive Mirjam verfällt dem Wahnsinn. Deborah stirbt an Gram. Da nun sagt sich Mendel Singer von seinem Glauben los, bricht mit Gott, klagt dessen Grausamkeit an, wie der biblische Hiob. Aber als alles verloren scheint, ereignet sich doch noch ein Wunder: Menuchim, von seiner Behinderung völlig genesen und inzwischen erfolgreicher Dirigent, sucht und findet seinen verelendeten Vater. Ein etwas rührseliger Schluss, mit dem Joseph Roth selbst nicht recht zufrieden war.
Jochen Schölchs Regie zeichnet sich, ganz gegen den Theater-Zeitgeist, durch starke Konzentration auf den Text aus – und durch Vertrauen auf mündige Zuschauer. Aktuelle Bezüge zu heutigen Fluchtgeschichten ergeben sich von selbst, werden nicht ausgestellt. Fabian Lüdicke hat eine Drehbühne einrichten lassen in einem von gefalteten grauen Vorhängen ausgekleideten Halbrund unter schwarzem Himmel. Leerer Raum, kaum Versatzstücke. Als wolle er die Kargheit nicht übertreiben, lässt der Regisseur dann ein paar Mal Miniaturen kreisen, den Eisenbahnzug nach Bremerhaven, den Ozeandampfer, die Freiheitsstatue. Am Anfang, im Schtetl, sind die Kostüme (Andrea Fisser) ganz in Schwarz, in New York kommt Farbiges dazu – Hoffnung auf Lebensfreude.
Das stringente künstlerische Konzept überzeugt und bewegt. Eine Besonderheit dieser Inszenierung: Den Mendel Singer spielt Sascha Römisch. Der 56-Jährige ist, nach Anfängerjahren in Ulm, seit 30 Jahren Ensemblemitglied am Ingolstädter Theater. Normalerweise kein bemerkenswerter Berufsverlauf. Wer Römisch über die Zeit beobachten durfte, erlebte Wechselhaftes: einen agilen Haupt- und Nebendarsteller, bestens zu gebrauchen in Komiker- wie in Heldenrollen, Publikumsliebling, jedoch oft darstellerisch mit Untugenden, Nachlässigkeiten behaftet. Aber nun in der gewaltigen Rolle des einfachen Mendel Singer: eine grandiose Gestalt von Würde und Humanität, ein leidender, erbarmungswürdiger Mensch, ohne jede Verkünstelung, ohne Falsches. Dass sich nach der Premiere viele Zuschauer beim Beifall von den Sitzen erhoben, kann nur Sascha Römisch gegolten haben, dem stark Gereiften.
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Weitere Aufführungen 24. und 25.
Februar, 12. und 29. März