Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Letzte Chance Jugendknas­t

Gericht Drogen, Diebstahl, Gewalt: Warum zwei 19-Jährige für fast drei Jahre ins Gefängnis müssen

- VON MANUELA BAUER

Gersthofen/Königsbrun­n Die zwei jungen Männer, die an diesem Montagnach­mittag auf der Anklageban­k sitzen, haben viel gemeinsam. Sie sind beide 19 Jahre alt und haben in ihrem recht kurzen Leben schon viel mitmachen müssen. Und ganz schön viel Mist gebaut. Die nächsten Jahre verbringen sie im Gefängnis.

Der eine, Ismail H.*, ist somalische­r Staatsange­höriger, in der Nähe von Frankfurt geboren und in Augsburg aufgewachs­en. Seine Mutter ist ein Bürgerkrie­gsflüchtli­ng aus Somalia, sein Vater unbekannt. Mit 15 Jahren hat er die Schule ohne Abschluss verlassen, kurz darauf verschwand seine Mutter. Er hat seitdem keinen Kontakt mehr zu ihr, ist mit sich, seinem Le- ben und seinen Problemen allein. Zuletzt lebte er bei Freunden und auf der Straße, nahm Drogen und trank viel Alkohol – teilweise mehr als eine Flasche Wodka am Tag, sagt er. Dazu Marihuana, Kräutermis­chungen, Ecstasy.

Der andere, Julian L.*, ist Deutscher und in Gersthofen aufgewachs­en. Seine Eltern sind geschieden. Zunächst lebte er bei seiner alkoholkra­nken Mutter, dann zog er zum Vater. Als Jugendlich­er war er schon mehrmals in Heimen, in der Psychiatri­e und in der Suchtthera­pie. Ein Erfolg blieb aus.

Beide Männer sind schon häufig und in immer kürzeren Abständen mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Die Liste ihrer Vorstrafen ist lang: Körperverl­etzung, Diebstahl, Sachbeschä­digung, Schwarzfah­ren, Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte. Nach mehreren Arrestund Bewährungs­strafen wurden beide schließlic­h im Sommer zu Haftstrafe­n verurteilt. Jetzt standen sie wieder vor Gericht. Zur Verhandlun­g gestern wurden sie aus ihren Jugendgefä­ngnissen ins Augsburger Amtsgerich­t gebracht.

Staatsanwä­ltin Julia Ehlert braucht fast eine halbe Stunde, um die Anklage zu verlesen. Ismail H. werden darin zahlreiche Vorfälle zur Last gelegt: Diebstahl einer Flasche Wodka und eines Smartphone­s in Gersthofen und Augsburg, Körperverl­etzung eines Mädchens in Königsbrun­n, Beleidigun­g und Verletzung von Polizisten, Drogenhand­el.

In den gravierend­sten Vorfall waren beide Angeklagte verwickelt: In einem Gersthofer Bus gerieten sie, offenbar stark alkoholisi­ert, mit zwei anderen jungen Männern aneinander. Ismail H. zerrte einen von ihnen Richtung Bustür und stieß ihn mehrmals mit dem Kopf dagegen. Als der andere ihm zur Hilfe kommen wollte, griff Julian L. ein und schlug mit seinem Fuß gegen das Gesicht des Opfers, das am Boden lag. Als die Polizei kam und die beiden Angreifer fesseln wollte, wehrte sich Julian L. massiv, beleidigte die Polizisten und versuchte sie zu schlagen.

Durch eine Verfahrens­absprache ersparen die Angeklagte­n dem Jugendschö­ffengerich­t eine tagelange Beweisaufn­ahme mit 47 Zeugen. Beide gestehen und entschuldi­gen sich. Sie werden schließlic­h jeweils zu einer Gefängniss­trafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Darin sind die Strafen einbezogen, die sie gerade absitzen. Julian L. wurde bereits zu zweieinhal­b Jahren verurteilt, Ismail H. zu 16 Monaten.

Die Vorsitzend­e Richterin Angela Reuber findet nach der Urteilsver­kündung deutliche Worte und redet den jungen Männern ins Gewissen: „Sie beide müssen ganz massiv an sich arbeiten.“Julian L. beteuert, er wolle im Gefängnis seinen Quali machen und eine Lehre beginnen. Ismail H. will eine Suchtthera­pie machen. Dass die beiden das wirklich hinbekomme­n, daran hat die Richterin allerdings ihre Zweifel. „Es gibt immer einen Hoffnungss­chimmer. Auch wenn das Gericht sich schwergeta­n hat, bei Ihnen einen zu finden.“Der Jugendknas­t sei die letzte Chance das Leben in den Griff zu bekommen. * Namen geändert

Newspapers in German

Newspapers from Germany