Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Atommüll im Grenzbereich
Kernkraft In der Schweiz geht die Suche nach einem Endlager voran: Dass alle drei geplanten Standorte an der Grenze zu Deutschland liegen, weckt massive Bedenken in Berlin
Berlin Sie heißen Jura-Ost, Nördlich Lägern oder Zürich-Nordost: In der Schweiz geht die Suche nach einem Standort für ein atomares Endlager derzeit in die heiße Phase. Die Wahl fällt nun auf die genannten drei Orte, die alle eines gemeinsam haben: Sie liegen unmittelbar an der Grenze zu Deutschland. Entsprechend stoßen die Schweizer Pläne im Umweltausschuss im Deutschen Bundestag auf massive Bedenken. In einer elfseitigen Stellungnahme an das Bundesamt für Energie in Bern, das unserer Zeitung vorliegt, nennt die neue Ausschussvorsitzende Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) „nicht überprüfbar und nicht nachvollziehbar“, auf welcher Grundlage die Auswahl für die drei infrage kommenden Standorte getroffen wurde.
Es gebe bislang weder umfassende Tiefenbohrungen noch Erkundungen unter Tage, betont die Grünen-Politikerin. „Dieser Umstand wirft erheblichen Zweifel daran auf, dass es bei dem Verfahren wirklich darum geht, den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit zu finden und auszuwählen“, betont Kotting- Uhl in der offiziellen deutschen Stellungnahme. Seit November vergangenen Jahres befinden sich noch die drei Standorte in der engeren Auswahl, die alle unmittelbar an der deutsch-schweizerischen Grenze zwischen Schaffhausen und Waldshut und somit nur wenige Kilometer von Südbaden entfernt liegen. Am Freitag endet die Frist für die Abgabe von Stellungnahmen, danach folgt die letzte Etappe des Auswahlverfahrens, die bis 2029 abgeschlossen werden soll. Spätestens 2060 soll das Endlager für hoch radioaktiven Atommüll seinen Betrieb aufnehmen.
Kotting-Uhl ärgert sich, dass die Bevölkerung in Deutschland, obwohl unmittelbar wegen „potenzieller negativer Auswirkungen des Endlagers“betroffen, „nur mit deutlichen Einschränkungen“im Vergleich zu den Bürgern am Auswahlverfahren beteiligt werde. Vor allem aber sei die Schweiz nicht auf der Höhe der Zeit, sondern hinke gegenüber anderen Staaten bei den Rechtsgrundlagen hinterher, kritisiert die Atom-Expertin der Grünen.
So habe sich international die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Endlager, in dem der Atommüll eine Million Jahre lang sicher aufbewahrt werden soll, alleine nicht ausreiche. Darum hätten dutzende Staaten bereits 2003 ein völkerrechtliches Abkommen für eine zusätzliche Strategische Umweltprüfung (SUP) abgeschlossen, die dazu dient, auch Alternativen zu einem geplanten Vorhaben intensiv zu betrachten. „Die Schweiz gehört nicht zu den Mitgliedstaaten des SUPAbkommens“, erklärt Kotting-Uhl. Somit erfülle die Schweiz nicht mehr die geltenden Mindestanforderungen, dies sei „ein signifikantes Defizit“des Verfahrens.
Nach Ansicht der Ausschussvorsitzenden leidet das Auswahlverfahren der Schweiz an einem Interessenkonflikt, den es auch in Deutschland „mit regelmäßig negativen Auswirkungen“gegeben habe, wie Kotting-Uhl unserer Zeitung sagte. So seien die Betreiber der Kernkraftwerke als Verursacher der Abfälle gleichzeitig Gesellschafter der „Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle“(Nagra), die für die Endlagersuche zuständig sei. „Ausgerechnet diejenigen, die naturgemäß ein Interesse an einer möglichst kostengünstigen Entsorgung haben, sind für ein Verfahren zuständig, bei dem es eigentlich nur nach der Sicherheit gehen darf und nicht die Kosten ausschlaggebend sein dürfen.“Kotting-Uhl verweist auf die deutschen Erfahrungen mit der Asse und dem Endlager Morsleben. Beide seien heute „Sanierungsfälle, die die Steuerzahler Milliarden kosten“.
Zudem bemängelt Kotting-Uhl, dass die Schweiz bis heute keine klare und verbindliche Obergrenze für die zu entsorgende Atommüllmenge vorgelegt habe. Dabei sei unstrittig, „dass klar definierte Abfallmengen eine wichtige Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz eines Endlagersuchverfahrens sind“. Kotting-Uhl fordert in diesem Zusammenhang die Schweiz auf, rasch verbindliche Laufzeit-Enddaten für alle Atomkraftwerke festzulegen und einen „möglichst schnellen Atomausstieg“anzustreben, um die zu entsorgenden Atommüllmengen „möglichst klein“zu halten.
Umweltausschuss zweifelt an „bestmöglicher Sicherheit“