Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Immer mehr überleben den Krebs
Medizin Viele Menschen leiden jedoch unter den körperlichen und seelischen Folgen der Krankheit. Diese sind oft so schwer, dass der Wiedereinstieg in den Job nicht immer gelingt
Berlin Zehn Jahre dauerte die Chemotherapie. So lange hat Mike Weber dem Krebs die Stirn geboten und schließlich seine Leukämie besiegt. Mit 32 Jahren bekam der heute 50-jährige Berliner seine Diagnose. Er gehört zu den 175 000 Menschen, die laut Statistik des Zentrums für Krebsregisterdaten in Deutschland jährlich zwischen dem 16. und 65. Lebensjahr an Krebs erkranken. Dank des medizinischen Fortschritts ist das nicht mehr gleichbedeutend mit einem Todesurteil.
Die Heilungschancen in der Altersgruppe der 15- bis 40-Jährigen sind recht hoch, 80 Prozent von ihnen überleben den Krebs. Das Zentrum für Krebsregisterdaten geht derzeit von 2 bis 2,5 Millionen Menschen in Deutschland aus, die fünf und mehr Jahre nach ihrer Krebser- krankung noch am Leben sind. Aber ein Drittel der Krebsüberlebenden leidet laut Deutscher Krebsgesellschaft an den Spätfolgen von Tumoren, Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapie. Die Liste ist lang: chronische Erschöpfung, Nervenschäden, Lymphödeme, geschwächtes Immunsystem, Depressionen und kognitive Störungen – eine Rückkehr in den Job ist nicht selten unmöglich.
„Je länger die Therapien dauern, desto größer sind häufig die Einschränkungen“, sagt Rainer Göbel, der sich ehrenamtlich im Berliner Selbsthilfeverein „Leben nach Krebs!“engagiert. Wegen dieser Spätfolgen könne ein Drittel der Krebsüberlebenden nicht wieder in die Arbeitswelt zurückkehren. Der Verein „Leben nach Krebs!“unterstützt gemeinsam mit der Bera- tungseinrichtung „Kobra – Beruf Bildung Arbeit“Krebsüberlebende beim Versuch, wieder in die Erwerbsarbeit zurückzufinden.
„Es hat sich gezeigt, dass die Teilnehmenden den Austausch schätzen und gestärkt hier herausgehen“, sagt Helga Lind, Beraterin bei Kobra. Wichtig sei es für sie, die eigene Belastbarkeit einschätzen zu lernen, eine berufliche Neuorientierung und Bewerbungsstrategien zu entwickeln. Viel diskutiert werde die Frage, wie offen man mit Arbeitgebern über seine gesundheitlichen Handicaps sprechen soll.
Sabrina Leh war 22 Jahre alt, als bei ihr ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert wurde. Zwar konnte dieser entfernt werden, aber die heute 36-jährige Akademikerin leidet an schweren Folge-Behinderungen und kann bislang keiner Arbeit nachgehen. Dabei würde sie das so gern tun, wie sie sagt.
„Es gibt durchaus berufliche Wiedereinstiegsmodelle, aber sie werden leider nur teilweise der reduzierten Leistungsfähigkeit von Krebsüberlebenden gerecht“, sagt Rainer Göbel. Das Instrument des Betrieblichen Eingliederungsmanagements, kurz BEM, sei vielen Arbeitgebern nicht bekannt oder bleibe ungenutzt.
Es soll Beschäftigten nach langer Krankheit ermöglichen, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, der dann mit Rücksicht auf ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen individuell gestaltet wird. Arbeitgeber sind seit 2004 gesetzlich verpflichtet, bei Bedarf ein Betriebliches Eingliederungsmanagement umzusetzen, „aber nicht alle halten sich daran“, kritisiert Göbel.