Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Es ist nicht leicht, ein Chef zu sein
Arbeitswelt Je verantwortungsvoller eine Führungskraft handelt, desto mehr Stress empfindet sie, zeigt eine Studie. Sensible Persönlichkeiten haben deshalb mitunter zu knabbern
Augsburg „Melden macht frei!“– diesen Grundsatz bekommt jeder Bundeswehrsoldat eingetrichtert. Was damit gemeint ist: Stößt man auf ein Problem, das man nicht lösen kann, meldet man es seinem Vorgesetzten. Dann muss der sich kümmern – und man selbst ist die Sorge los. So ähnlich funktioniert es in vielen Unternehmen: Wer nicht weiterkommt, geht zum Vorgesetzten. Und wenn das Problem groß genug ist, wandert es weiter nach oben, von Hierarchieebene zu Hierarchieebene, bis es irgendwann beim Geschäftsführer angekommen ist. Der kann es nicht weiter nach oben durchreichen – er muss eine Entscheidung treffen. Was auch immer er tut: Er bleibt in der Verantwortung.
Genau diese Verantwortung ist es, die neben Macht, Ansehen, Prestige und einem ansehnlichen Gehalt für viele Menschen den Reiz an einer Führungsposition ausmacht. Sie empfinden es als große Freiheit, wichtige Entscheidungen treffen zu dürfen. Und in sonnigen Zeiten ist das auch eine angenehme Sache. Denn wenn das Unternehmen Gewinne erwirtschaftet, fällt das Repräsentieren und Entscheiden leicht. Anders jedoch ist es, wenn Wolken aufziehen. Dann kann die Verantwortung zur Bürde werden – vor allem, wenn Führungskräfte verantwortungsbewusst handeln und sich die Tragweite der Entscheidungen vergegenwärtigen.
Das wiederum ist zwar erst mal nichts Schlechtes, weil es im Gegensatz zum prominenten Bild, dass „Macht korrumpiert“, von Gewissenhaftigkeit zeugt und gut ist für das Arbeitsklima. Es erhöht allerdings das körperliche Stresslevel von Führungskräften, zeigt eine aktuelle Studienreihe des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) in Tübingen, die unter Leitung der Organisationspsychologin Annika Scholl entstanden ist.
Die Forscherin war mit ihrem Team der Frage nachgegangen, was es mit mächtigen Personen macht, wenn sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Dazu wurden die Teilnehmer gebeten, eine Rede über eine persönlich erlebte Situation zu halten, in der sie Macht und Einfluss hatten. Ein Teil der Teilnehmenden wurde gebeten, über die Freiräume zu sprechen, die sie in der Situation erlebt hatten. Der andere Teil der Gruppe sollte über ihre Verantwortlichkeiten in der Situation sprechen. Während sie die Rede vor einer Videokamera hielten, wurde ihre körperliche Stressreaktion gemessen – insbesondere die Herzleistung.
Dabei zeigte sich, dass diejenigen Personen in Machtpositionen, die über ihre Verantwortung sprachen, deutlich mehr Stress empfanden als diejenigen, die ihre Freiräume thematisierten – obwohl beide Gruppen ein gleiches Ausmaß an Macht und Einfluss erlebten. Diese Effekte zeigten sich nur für Personen in Machtpositionen – ein Vergleich mit weniger Mächtigen zeigte, dass Verantwortung das Stresslevel nur bei jenen Personen mit viel Macht erhöht – und nicht bei Personen, die wenig Macht hatten.
Die Schlussfolgerung des Forscherteams: Es ist nicht Verantwortung an sich, die mehr Stress auslöst – sondern Verantwortung in Verbindung mit einer Machtposition. Ein Ergebnis, dass die Tübinger Forscher in vier weiteren Studien bestätigen konnten – unter anderem mittels einer Befragung von Führungskräften. „Verantwortung als Teil einer Machtposition scheint gewissermaßen als Last erlebt zu werden“, erklärt IWM-Forscherin Annika Scholl. „Möglicherweise deshalb, weil man hier stärker die zahldunkle reichen Anforderungen einer Machtrolle erkennt, die es zu erfüllen gilt.“
Offen bleibt die Frage, wie mächtige Personen damit längerfristig umgehen können. Zumal es sich vielfach als Illusion herausstellt, dass man freier werde, je höher man aufsteigt: Wer an der Spitze steht, hat den Aufsichtsrat im Nacken, die Anteilseigner, den Betriebsrat und nicht zuletzt auch die Medien. Bei Aktiengesellschaften kommen die Analysten hinzu, die Quartalszahlen und Transparenzpflichten. Da kann
Wer führt, muss Entscheidungen treffen
Manchmal kommt es zu Schlafstörungen
die Führungskraft schon mal zum Getriebenen werden. Sie geraten ins Grübeln und haben Schlafstörungen. Schließlich gibt es bei jeder Entscheidung mehrere Möglichkeiten. Und meistens weiß man noch nicht einmal hinterher, ob man die beste Entscheidung gefällt hat und der andere Weg nicht doch ein bisschen besser gewesen wäre. Sensible Persönlichkeiten haben daran mitunter schwer zu knabbern. Nicht umsonst sind psychische Erkrankungen wie etwa das Burn-out-Syndrom in Führungsetagen weit verbreitet.