Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sind sie Deutsche oder Tschechen?
Geschichte Auf dem Sudetendeutschen Tag erinnern sich nicht nur ältere Teilnehmer an das, was einmal war. Auch die Jungen treten in ihre Fußstapfen. Doch der Umgang mit der Vergangenheit ist für sie ein anderer
Am Wochenende sind tausende Besucher auf dem Messegelände zum Sudetendeutschen Tag zusammengekommen. Neben der Rede von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der ankündigte, die wegen der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg in der Vergangenheit belastete Beziehung zwischen Bayern und Tschechien weiter zu verbessern, spielte auch das gesellige Zusammensein und die Brauchtumspflege eine Rolle.
Zu jenem „Großen Brauchtumsabend“zog es die kleine Gruppe vom Stand des Hultschiner Ländchens aber nicht. Während in der Schwabenhalle Bernd Fabritius, der Minderheitenbeauftragte der Bundesregierung, vor 500 Zuschauern zur Eröffnung des Abends die „Musiktraditionen und die stammliche Vielfalt“der „deutschen Siedlungskultur in Osteuropa“lobte, feierten die Hultschiner fröhlich in der verwaisten Halle sechs.
Auch Emily, Marek und ihre Oma Karla Zacharik sind aus dem sogenannten Hultschiner Ländchen im Nordosten der Tschechischen Republik angereist. Von den Deutschstämmigen wird die Region Sudetenschlesien genannt, andere sagen Tschechisch Schlesien. Die Oder fließt durch die kleine, wirtschaftlich eher unbedeutende Region um Hultschin. Karlas Muttersprache ist Tschechisch. Ihre Eltern und Großeltern, so erzählt sie, sprachen ausschließlich Deutsch, seien wegen der Krankheit der Großmutter nicht vertrieben worden und durften bleiben. Sie selbst nimmt sich – auch wegen ihres tschechischen Mannes – eher als tschechisch wahr mit nur noch geringen Bindungen ans Deutsche.
Ihre beiden Enkel zeigen, wie unterschiedlich die Lebenslinien von Deutschen in diesen einst umkämpften Gebieten sein können. Weil ihre Mutter nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die offene Grenze nutzte und nach Augsburg kam, wurden Emily (15) und Marek (11) hier geboren. Das Mädchen absolvierte den Kindergarten und die ersten zwei Grundschuljahre in Augsburg. Dann entschieden die Eltern, wieder nach Tschechien umzuziehen, kamen jedoch später nochmals für zwei Jahre hierher.
Inzwischen leben sie wieder in Tschechien, doch beide Kinder sprechen als erste Generation seit den Urgroßeltern wieder fließend Deutsch. Auch in der Schule hat Emily Deutsch als Hauptfach gewählt. Anfeindungen habe sie nie erlebt, sagt die 15-Jährige. Insgesamt gefalle es ihr in Deutschland besser, auch die bayerischen Dirndl seien schöner als die heimischen.
Edeltraud Kotzian ist ebenfalls aus dem Hultschiner Ländchen. Sie sieht sich selbst und ihre Nachkom- men, die neben Tschechisch noch Englisch sprechen, weniger als deutsch, sondern als international verwurzelt. Dass die Region mal deutsch war, sollte jedoch in Kulturvereinen weiter vermittelt werden, findet sie. Auch sie und ihre Eltern erlitten keine Vertreibung. Russische Soldaten nahmen ihnen nach dem Krieg Tiere und Ernte weg, doch sie selbst durften bleiben. „Ein Pfarrer hat mit den Tschechen verhandelt, und wir Dorfbewohner wurden nicht vertrieben“, erzählt sie. In Augsburg ist sie auf die Suche nach Kontakten zu anderen Landsmannschaften und Vereinen.
Eine Frau in Tracht, die ihren Namen nicht nennen möchte, hat hingegen die Vertreibung erfahren. Im September 1945 habe sie zusammen mit Mutter und Großmutter aus ihrem Dorf in Südmähren fliehen müssen, so die Frau, die heute in Ellwangen lebt. Auf Tschechien und die Sudetendeutsche Landsmannschaft ist die Dame nicht gut zu sprechen. 2015 hatte der Verband einen Kurswechsel beschlossen und die Ziele „Wiedergewinnung der alten Heimat“und die Entschädigung aus der Satzung gestrichen. Die 79-Jährige besteht auf der Rückgabe des Besitzes.
»Politik Wie Ministerpräsident Markus Söder die sudetendeutsche Mundart retten möchte, lesen Sie auf Seite 6.