Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Turnschuhe?
Nein: Sneakers! Und die sind nicht nur die meist verbreiteten Alltagstreter. Mancher Schuh wandert aus dem Pappkarton direkt in eine Glasvitrine. Wie der Kult einst entstand und welche Blüten er heute treibt
Imperium ausgebaut. Regelmäßig erscheinen neue Jordan-Schuhe, teils in limitierten Sondereditionen, die von Sammlern auf der ganzen Welt in Glasvitrinen aufbewahrt werden.
An sein erstes Paar erinnert sich Henoch Nya noch gut: der erste Jordan-Schuh, der dem Athleten von seinem Ausstatter Nike im Jahr 1985 gewidmet worden war. Die sportlichen Erfolge des späteren Superstars haben die Firma im Laufe des darauffolgenden Jahrzehnts zum Weltkonzern gemacht. Nya besaß den „Air Jordan 1“in „Bred“, wie er sagt: Fachsprache für „black and red“, also ein schwarz-rotes Farbschema. Je nach Stückzahl, Verkaufsjahr und Zustand zahlen Liebhaber mehrere hundert oder sogar tausende Euro für den Sneaker, der in Sammlerforen als modischer Meilenstein der 1980er Jahre gefeiert wird. Stilistisch sei eine Evolution er- kennbar, der erste Schuh habe den Weg vorgezeichnet und andere Designer inspiriert, schreibt ein Nutzer. Doch in der Szene, die von ihren Mitgliedern als das „Sneaker-Game“bezeichnet wird, geht es nicht um Vollständigkeit. „Mir ist in erster Linie wichtig, dass mir ein Schuh überhaupt gefällt“, sagt Nya. Die meisten seiner Schuhe trägt er an den Füßen – im Alltag, bei der Arbeit, an der Uni oder auf dem Basketballfeld. Das macht in der Szene nicht jeder so.
Denn für viele Sammler stehen Nachfrage und Wertsteigerungen über dem Tragekomfort. Wer clever und schnell ist, kann große Profite einfahren, wenn er einen begehrten Treter ergattert. Dafür muss man seine Hausaufgaben machen: Kündigt ein Hersteller eine Neuveröffentlichung an, erfährt das die Fangemeinde über Apps und soziale Medien. Dort werden Pflegetipps, aktuelle Gerüchte und Kaufangebote auseinem getauscht. „Oft gibt es landesweit nur wenige Shops, die ein paar Exemplare der brandneuen Modelle erhalten“, erklärt Nya, der über Instagram am Ball bleibt. Zum Schuhkauf war er schon in ganz Deutschland unterwegs. Wer überhaupt ein limitiertes Paar kaufen darf, wird vor Ort im Laden oder auf den Webseiten der Händler ausgelost. So sollen Auseinandersetzungen zwischen den Kunden verhindert werden. Glückliche Käufer können sich entweder an neidischen Blicken erfreuen oder das ungetragene Paar versteigern. Nicht selten erzielen Auktionen das Zehnfache des Ladenpreises. „In der Sneakerszene gibt es viele Leute mit Geld, die zahlen lieber hohe Preise, statt sich irgendwo anzustellen“, erklärt Nya.
Diese Bereitschaft hat ein Geschäftsmodell entstehen lassen, das die Szene spaltet. Denn viele nehmen ihr zugelostes Kaufrecht wahr, nur um sich mit den Schuhen an Ihresgleichen zu bereichern. „Mich nervt es auch, wenn ich einen Schuh unbedingt will und dann ein Vielfaches des Verkaufspreises bezahlen soll“, sagt Nya. Trotzdem habe auch er schon an Schuhverkäufen verdient, als er zum Beispiel ein Paar AdidasSchuhe, die vom Rapper Kanye West entworfen wurden, anbot. „Ich habe 220 Euro bezahlt und auf Ebay 950 Euro bekommen“, erzählt der Student. Einige Interessenten hätten ihm ihre Laptops im Tausch für die Schuhe angeboten, so dringend wollten sie die Schnürschuhe mit der wulstigen Sohle besitzen.
Rosi Lange hält von Privatverkäufen Abstand. „Erstens ist mir das Betrugsrisiko zu groß, zweitens würde ich keine Wucherpreise bezahlen“, sagt die 32-jährige Schuhfachverkäuferin. „Wenn ich einen Schuh verpasst habe, dann ärgert mich das kurz, aber oft werden die Modelle das alles nur, weil Schuhe unser Hobby sind“, sagt Lange. Mit Eitelkeit habe es nichts zu tun, wenn man Schuhe für mehrere hundert Euro trägt. „Ich beschwichtige meine Mutter wegen meiner Ausgaben für Schuhe oft damit, dass meine übrigen Alltagsklamotten nichts Besonderes sind“, sagt Nya, der seine Lieblingshose für sechs Euro im Angebot gekauft hat, wie er sagt. „Ich wache morgens auf und überlege mir, welche Schuhe ich tragen möchte“, erzählt Rosi Lange. Ihr restliches Outfit stimme sie dann darauf ab. Einen Vorteil gegenüber anderen Sammlern haben die beiden als Schuhverkäufer übrigens nicht: „Wenn hier im Laden ein seltenes Modell eintrifft, dann dürfen wir uns natürlich keinen Pappkarton zur Seite stellen“, sagt Nya. Das verstoße nicht nur gegen die Vorgaben vonseiten des Arbeitgebers, Lange empfindet es anderen Schuhfreunden gegenüber als unfair, ein Privileg als Verkäuferin will sie nicht. Ihrer Ansicht nach besteht auch darin die Solidarität, die ihre Subkultur als solche charakterisiert.
Und doch bleibt die Sammlerszene auch ein Schauplatz des Wettbewerbs: Je seltener der Schuh, desto stärker der Andrang, höher der Preis, größer die Anerkennung. Wer sich heute den Traum vom legendären „Air Jordan 3“erfüllen will, mit dessen Hilfe Michael Jordan von der Freiwurflinie abhob, kann das für rund 160 Euro tun. Das kostet eine Neuauflage des Sneakers, die Nike vor einigen Jahren in großer Stückzahl auf den Markt brachte – für Raritätensammler völlig uninteressant. Das limitierte Retro-Modell, das Nike anlässlich des diesjährigen 30. Geburtstags der Schuhe für 225 Euro kürzlich anbot, ist dagegen längst ausverkauft. Einige Paare finden sich auf Ebay wieder. Wer sich „like Mike“fühlen will, muss tief in die Tasche greifen: Das aktuelle Höchstgebot liegt bei 1125 Euro.