Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mehr als nur ein kleiner Pikser
Manche Insektenstiche spürt man kaum, andere schmerzen höllisch. Es gibt einen Index, der sie einordnet
Wer schon mal von einer Honigbiene gestochen wurde, der weiß, wie weh das tun kann – doch diese Schmerzen sind gar nichts im Vergleich zu dem Stich einer 24-Stunden-Ameise. Das meint zumindest der US-amerikanische Entomologe (Insektenkundler) Justin Orvel Schmidt. Und der muss es wissen, denn schließlich ließ er sich von rund 80 verschiedenen Insektenarten aus aller Welt stechen. Im Dienste der Wissenschaft versteht sich, denn nur so konnte er seinen Stichschmerz-Index anlegen, für den er heute bekannt ist.
Ganz unten auf seiner Skala, die von null bis vier reicht, rangieren unter anderem die Furchenbienen (Lasioglossum) mit einer 1,0. Der Entomologe beschreibt den Schmerz des Stiches als „leicht und flüchtig, als ob ein winziger Funke ein einziges Haar auf dem Arm ansengt“. Selbst die in Amerika so gefürchteten Feuerameisen (Solenopsis) kommen im „Schmidt-StingPain-Index“mit einer 1,2 noch ganz gut weg. „Als ob man über einen Teppich läuft und durch die statische Aufladung einen elektrischen Schlag bekommt“, urteilt der Insektenforscher über den sich einstellenden Schmerz.
Ganz anders sieht die Sache allerdings bei der 24-Stunden-Ameise (Paraponera clavata) aus, die ihren Namen nicht umsonst trägt. Der Schmerz ist nämlich nicht nur unerträglich stark, er hält auch noch sehr lange an: durchaus bis zu 24 Stunden. Der studierte Chemiker Schmidt beschreibt ihn so: „Ein reiner und intensiver Schmerz, als ob man über glühende Kohlen läuft und dabei einen sieben Zentimeter langen, rostigen Nagel in der Ferse stecken hat.“Der Schmerz ist so heftig, dass er an eine Schussverletzung erinnert. Daher sind die bis zu 30 Millimeter großen Tiere dieser Art im englischsprachigen Raum auch als „Bullet Ants“bekannt. Eigens für die 24-Stunden-Ameise hat Schmidt seinen StichschmerzIndex sogar erweitert: auf 4,X.
Nur ein einziger Hautflügler hat dem Experten bisher noch mehr Tränen in die Augen getrieben: der Tarantulafalke. So nennt sich die bis zu 50 Millimeter große amerikanische Wespenart Pepsis formosa. Aber ausgerechnet das Gift des Tarantulafalken sei hochinteressant, meint der Entomologe aus Arizona. Es schmerze zwar „heftig und schockierend elektrisch, als ob ein laufender Föhn in deine Badewanne gefallen wäre“, aber die Qualen hielten „nur“fünf Minuten lang an und vor allem schädige das Gift das Gewebe nicht nachhaltig. Darum rangiert diese Wespe mit einer 4,0 auch noch unter der 24-Stunden-Ameise in der Rangliste.
An dieser Stelle zeigt sich sehr schön, dass Schmerz nicht gleich Schmerz ist. Nicht nur das: Auch das Schmerzempfinden jedes Einzelnen von uns ist subjektiv und wird von vielen verschiedenen Faktoren wie etwa der Tagesform oder auch der konkreten Situation beeinflusst. Was auf jeden Fall noch eine wichtige Rolle spielt, ist die Körperstelle, in die man gestochen wird – das meint zumindest Michael Smith von der Cornell University in New York. Auch sein Forscherdrang war so groß, dass er sich ebenfalls im unerschrockenen Selbstversuch in 25 verschiedene Körperpartien stechen ließ, und zwar von Honigbienen (Apis mellifera), die bei seinem Kollegen Schmidt eine durchaus noch erträgliche 2,X erreichen.
Hierbei zeigte sich, dass die Einstichstelle einen sehr großen Einfluss auf den gefühlten Schmerz hat. Bienenstiche in den Oberarm, die mittlere Zehe des Fußes und sogar in den Kopf empfand Smith als am wenigsten schmerzhaft. Diese Stellen ordnete er auf seiner eigenen Skala, die Zahlenwerte von 1 bis 10 annehmen kann, allesamt im unteren Bereich bei gerade einmal 2,3 ein. Sehr viel unangenehmer waren da ganz andere Körperstellen. „Am schmerzhaftesten ist ein Stich ins Nasenloch“, meint Smith dann auch, und vergab für diesen eine glatte 9,0, „dicht gefolgt von der Oberlippe mit einer 8,7“. Im Mittelfeld rangieren Smith zufolge die Kniekehlen und sogar der Nacken. Vergessen werden darf dabei allerdings nicht, dass diese nicht ungefährlichen Selbstversuche jeweils nur von einer einzigen Person durchgeführt wurden und somit natürlich keinesfalls repräsentativ sind. Ebenfalls wurden Insektengiftallergien nicht berücksichtigt oder schwere, durchaus auch schmerzhafte Krankheiten, die durch Stiche ausgelöst werden können, wie etwa die von der Anopheles-Stechmücke übertragene Malaria, die sogar tödlich verlaufen kann. Derartige Stiche sind dann selbst für die beiden unerschrockenen Forscher kein Spaß mehr.