Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Gauland fühlt sich missverstanden
Hintergrund Der AfD-Chef bedauert die Wirkung seines „Vogelschiss“-Zitates. Nur wie ernst ist das zu nehmen?
Berlin Es ist ja nicht das erste Mal. Den Fußballprofi Jerome Boateng wollte er nicht als Nachbarn und die frühere Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz „in Anatolien entsorgen“. AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland weiß genau, was er sagt, auch wenn er sich danach über vermeintlich überzogene Reaktionen wundert. So auch jetzt: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“Aus dem Zusammenhang gerissen? Falsch verstanden? Die Empörung ist jedenfalls so groß, dass Gauland sich am Montag zu einer Relativierung seiner Äußerung veranlasst sieht.
Provokationen gehören zum Politikverständnis der AfD. Der Politikwissenschaftler Hajo Funke sieht in Gaulands Äußerung aber mehr als das: „Das ist keine Provokation, sondern Ausdruck einer strategischen Gesinnung und Ausrichtung der Partei“, sagt er. Die AfD wolle eine andere Republik. Dabei hat sie seit ihrer Gründung 2013 mehrere Stufen der Radikalisierung hinter sich. Von der eurokritischen zur rechtskonservativen AfD bis zur stramm nationalistischen Kraft mit kräftigen völkischen Akzenten. „Die Partei ist nicht fähig, sich von weit rechts, auch von Neonazis, abzugrenzen“, sagt der ExtremismusForscher Funke. Die aktuelle Parteiführung hält er für „Überzeugungstäter“, die „eine andere Republik“wollen. Dabei mache sich die AfD verbreitete Protestmotive zunutze, etwa gegen soziale Ungleichheit, gegen Unsicherheiten der Welt. Zu sozialen und ökonomischen Umbrüchen kommt die Flüchtlingsbewegung. Die AfD biete eine Folie für die Wut der Bürger. „Das funktioniert bei 10 bis 20 Prozent der Wähler – im Osten eher 20, im Westen eher 10.“Immerhin stünden diesen Kräften aber 80 Prozent Verfassungspatrioten gegenüber. Deshalb gebe es keinen Grund für übertriebenen Pessimismus.
Als Gauland am Montag seine umstrittenen Äußerungen relativiert, reagiert er auf massiven Protest. „Die entstandene Wirkung bedaure ich“, sagt er nun. Niemals sei es seine Absicht gewesen, die Opfer des Nationalsozialismus zu bagatellisieren oder gar zu verhöhnen. Etwa zur gleichen Zeit sagt der AfD-Scharfmacher Höcke in Berlin etwas in die Kameras, was er wohl als Unterstützung Gaulands verstanden wissen will. „Ober-Phrasendrescher vom Schlage einer Frau Kramp-Karrenbauer“sorgten mit ihrer Politik dafür, dass unsere Sozialversicherungssysteme „zur Plünderung freigegeben“würden. Sie seien zumindest indirekt dafür verantwortlich, „dass unsere Töchter und unsere Frauen angemacht, vergewaltigt und getötet werden“.
Mit solchen Tönen ist auch Höcke in der AfD keine Ausnahmeerscheinung. „Populistische Hetze an der Grenze zur Strafbarkeit“nennt der Präsident des Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, das „Vogelschiss“-Zitat. Zu einer Verurteilung werde es aber kaum reichen. Auch Höcke kam bislang trotz aller Ausfälle ohne strafrechtliche Konsequenzen davon. Und einen Parteiausschluss Höckes hat vor allem Gauland verhindert.