Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Mythos wird 70 Jahre alt
Im Juni 1948 bekam der Porsche 356 seine Betriebserlaubnis. Heute geht es der Stuttgarter Firma besser denn je. Wäre da nicht die Abgaskrise
Stuttgart Die erste Million ist bekanntlich die schwerste. Porsche hat fast 50 Jahre gebraucht, bis die erste Million Sportwagen stand. 1996 war das. Seither hat das Tempo deutlich angezogen. Für die jüngste Million waren keine fünf Jahre mehr nötig, allein 2017 liefen mehr als 255000 Porsche vom Band. Der Autobauer aus dem Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen wächst und wächst. Mehr Absatz, mehr Umsatz, mehr Gewinn. Aber auch wieder mehr Sorgen. Porsche steckt mittendrin im Skandal um manipulierte Abgaswerte. An diesem Freitag wird der 70. Geburtstag gefeiert.
Am 8. Juni 1948 bekam der 356 Nr. 1 Roadster seine Betriebserlaubnis, der erste Wagen, der den Namen Porsche trug. Das Datum gilt daher als Geburtsstunde der Marke. Zwar hatte Ferdinand Porsche schon vorher Fahrzeuge entwickelt und konstruiert. Sein größter Auftrag war die Entwicklung des VW-Käfer-Vorläufers in der Nazizeit, zunächst „KdF-Wagen“genannt, mit dem Adolf Hitler die Massen motorisieren wollte. Erst sein Sohn Ferry aber brachte den 356 auf den Markt und hob damit den Sportwagenbauer Porsche aus der Taufe.
Der silberne 356 hatte 35 PS, weder Dach noch Außenspiegel und auch sonst natürlich nicht viel gemein mit dem, was man heute so fährt. Aber dass ein Porsche ein Porsche ist, sagen Fans und Kenner, hat man seither jedem einzelnen Modell sofort ansehen können.
Für keines gilt das mehr als für den 911er, der den 356 in den 1960er Jahren ablöste und bis heute gebaut wird. „Porsche ist der 911“, sagt der Wirtschaftspsychologe Rüdiger Hossiep, der an der RuhrUniversität in Bochum die emotionalen Aspekte im Verhältnis von Mensch und Auto erforscht. „Diese Ikone prägt die Marke.“Und deshalb müsse das Unternehmen damit auch sehr behutsam umgehen.
Denn auch wenn der 911er das Gesicht von Porsche ist – die Renner im Autohaus sind heute andere. Mehr als 97 000 Geländewagen vom Typ Macan wurden vergangenes Jahr ausgeliefert, dazu fast 64 000 vom großen Bruder Cayenne. Mit gut 32 000 Exemplaren lag der 911er sogar noch hinter dem Viertürer Panamera. Droht da der Zeitgeist, der die Rendite bringt, einen Sportwagen-Mythos zu verwässern?
Hossiep sieht die Gefahr durchaus. „Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge“, sagt er. Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche, Sohn von 356-Konstrukteur Ferry, hatte kürzlich in einem Interview ebenfalls gewisse Bedenken geäußert. Bei mehr als einer Viertelmillion Autos im Jahr sei es entscheidend, die Exklusivität zu wahren, mahnte er. Oliver Blume will solche Sorgen zerstreuen. „Ein Porsche bleibt immer ein Porsche“, verspricht der Vorstandschef, der seit Herbst 2015 die Firma lenkt, die heute eine Tochter des VW-Konzerns ist.
Blume sagt, die Technologie komme von der Rennstrecke, ganz egal, ob es um den 911 oder einen SUV gehe. Porsche habe sich nie über Rekorde bei Auslieferungen und Umsatz definiert, sondern über begeisterte Kunden, gute Rendite und sichere Arbeitsplätze.
Jahrzehntelang hatte Porsche keine Dieselmotoren in seinen Autos. Mit den SUVs änderte sich die Linie, Porsche bot Dieselvarianten mit Motoren der VW-Tochter Audi an – und geriet damit in den Sog des Abgasskandals. Die Behörden ordneten Rückrufe für zehntausende Fahrzeuge an. Außerdem ermittelt die Justiz, durchsuchte im April den Stammsitz in Zuffenhausen und nahm einen Manager in Untersuchungshaft.
Psychologe Hossiep meint, Porsche wäre gut beraten, das Thema Sportwagen wieder stärker zu spielen, aber nicht in den 911er-Dimensionen. „Der 911 ist als Neuwagen für die Menschen nicht mehr erreichbar“, sagt er. Die günstigste 911er-Variante preist Porsche derzeit mit knapp 100000 Euro an. Hossiep hingegen denkt an ein extrem puristisches 50000- bis 60 000-Euro-Auto ohne technischen Schnickschnack. Nico Esch, dpa