Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie viel zahlt die Lebensversicherung?
BGH Die Niedrigzinsen treffen Kunden hart – denn die Verzinsung des Vorsorgeklassikers sinkt. Verbraucher ärgern auch Einschnitte durch eine Reform. Diese wird nun überprüft
Karlsruhe Viele Jahre eingezahlt, jetzt wird die Lebensversicherung fällig – und dann die Enttäuschung: Die Summe fällt seit einiger Zeit oft kleiner aus als von den Kunden erhofft. Der Bund der Versicherten (BdV) hat deshalb geklagt. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe zeichnet sich nach der Verhandlung vom Mittwoch ein Teilerfolg ab. Ein Urteil wird aber erst am 27. Juni gefällt.
Worum geht es?
Um die Frage, wie viel Geld den Versicherten am Laufzeitende aus den Bewertungsreserven zusteht. Versicherer legen die Kundengelder am Kapitalmarkt an, größtenteils in festverzinslichen Papieren wie Staatsanleihen. Deren Wert schwankt. Sinken die Zinsen, steigt der Wert älterer, höher verzinster Staatsanleihen in den Büchern des Unternehmens. Am Markt könnte der Versicherer sie für mehr Geld verkaufen, als er für sie bezahlt hat. Diese Differenz zwischen Kauf- und Marktpreis wird als Bewertungsreserve bezeichnet. Ausscheidende Kunden waren bis zu einer Gesetzesänderung 2014 daran zur Hälfte zu beteiligen. Entsprechend hoch fielen in der Niedrigzins-Phase die Ausschüttungen aus.
Was ist das Problem?
Klassische Renten- und Lebensversicherungen leiden selbst unter der Zinsflaute: Die Versicherer können die hohen Garantieversprechen der Vergangenheit kaum noch erwirtschaften. Die Leidtragenden sind die Versicherten, deren Verträge noch länger laufen. Wenn die Assekuranzen hochprozentige Papiere jetzt verkaufen müssen, um scheidende Kunden an den üppigen Reserven zu beteiligen, geht das in der Zukunft zu ihren Lasten. Um die Branche zu stabilisieren, hat 2014 der Gesetzgeber eingegriffen.
Mit welchen Folgen?
Die Assekuranzen dürfen Kursgewinne aus festverzinslichen Wertpapieren nur noch in dem Maße ausschütten, wie Garantiezusagen für die übrigen Versicherten sicher sind. Für Aktien und Immobilien gilt diese gesetzlich verordnete Kappung nicht. Den größten Teil der Kundengelder legen Versicherer aber in festverzinslichen Papieren an. Im Fall des Versicherten, den der BdV vor Gericht vertritt, bedeutete das: Kurz vor Inkrafttreten der Reform hatte ihm die zum Ergo-Konzern gehörende Victoria Lebensversicherung unter Vorbehalt eine Beteiligung an den Bewertungsreserven von 2821,35 Euro in Aussicht gestellt. Tatsächlich bekam er wenig später nur 148,95 Euro.
Wie stehen die Chancen vor Gericht?
In den Vorinstanzen hatte der BdV keinen Erfolg. Der Gesetzgeber habe „gewichtige Interessen des Allgemeinwohls“verfolgt, urteilte zuletzt das Landgericht Düsseldorf. Die BGH-Richter scheinen diese Auffassung zu teilen. In der Verhandlung bemängelte der Senat aber, dass das Landgericht nicht geprüft habe, ob die Kürzungen im konkreten Fall wirklich durch die wirtschaftliche Situation der Versicherung gerechtfertigt waren. Aus der stark geschrumpften Summe ergebe sich gewisser Erklärbedarf.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Frage dürfte die Gerichte noch eine Weile beschäftigen. Der BGH will am 27. Juni sein Urteil verkünden. Aller Voraussicht nach muss sich das Landgericht den Fall dann erneut vornehmen. Der BdV ist auch bereit zur Verfassungsklage. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2005 geurteilt, dass die Versicherten an Gewinnen, die mit ihrem Geld erzielt wurden, zu beteiligen sind. Deshalb war die Ausschüttung aus den Bewertungsreserven Anfang 2008 überhaupt erst eingeführt worden.
Welche Folgen hat die Kappung der Bewertungsreserven für die Kunden?
Die Höhe der Bewertungsreserven schwankt stark. Je nach Stichtag, zu dem der Vertrag ausläuft, fällt sie unterschiedlich hoch aus. Die Beteiligung kann im Einzelfall auch komplett wegfallen. Allenfalls ein Trend lässt sich aus einer Auswertung von Policen direkt ablesen: Ein Käufer bestehender Policen wertete 12000 Verträge aus. Danach bekamen Kunden 2014 am Ende des Vertrages laut Beispielrechnung bei einer Ablaufsumme von 100 000 Euro im Schnitt 5580 Euro aus den Bewertungsreserven. Ein Jahr später waren es 2740 Euro. Zuletzt stieg die Summe den Angaben zufolge auf 3410 Euro im Mai.