Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Als der Orientexpress durch Diedorf fuhr
Geschichte Das Empfangsgebäude des Bahnhofs gilt als Paradebeispiel für einen durch Eigeninitiative sanierten Bau / Serie (9)
Diedorf Im Mai 1851 unterzeichnete Maximilian II. ein Gesetz für den Bau einer Eisenbahn von Augsburg nach Ulm. Ihm zu Ehren wurde die Strecke „Maximiliansbahn“getauft. Eine Station auf der Jungfernfahrt der Lokomotive „Faust“am 26. September 1853: Diedorf.
Ein Jahr später verbanden täglich drei Züge den schwäbischen Markt mit den Metropolen. Ab 1883 fuhr sogar der legendäre Orientexpress zweimal wöchentlich durch Diedorf.
Von dieser goldenen Ära des dampfgetriebenen Personen-, Güter- und Nachrichtenverkehrs blieb wenig übrig, als der Bahnhof 1992 nicht mehr personell besetzt war.
Seit der Automatisierung verwahrloste das Gebäude zusehends. Der Zahn der Zeit und Vandalismus ließen das Gebäude bald an eine Kulisse aus einem Endzeit-ScienceFiction-Film erinnern. „Ein Schandfleck“, fand der damalige Bürgermeister Otto Völk. In Eigeninitiative sorgte er gemeinsam mit dem damaligen zweiten Bürgermeister Peter Högg und anderen Mitstreitern dafür, dass man in Diedorf heute wieder stolz ist auf den eigenen Bahnhof.
„Im Obergeschoss wurde eine Wohnung an einen Gemeindemitarbeiter vermietet, der wie ein Hausmeister auf den Bahnhof achtet“, sagt Kämmerer Herbert May. Als Mitglied des Heimatgeschichtlichen Vereins Diedorf kennt er die Historie des Bahnhofs besonders gut. Und weiß, dass der Bahnhof früher weiter westlich stand. Wo heute eine Bahnunterführung steht, befand sich die ursprüngliche Bahnstation. Ein Blitzschlag im Sommer 1903 richtete so großen Schaden an, dass ein neuer Bahnhof errichtet wurde. Der in den neunziger Jahren allerdings zunehmend auch so aussah, als hätte der Blitz eingeschlagen. Sogar die Zeitung berichtete, wie schlimm es seinerzeit um das Gebäude stand: Reisende würden lieber im Regen stehen als im Bahnhof – so ein Artikel von 1999.
Die Sanierung ist das Ergebnis von fast zehn Jahren mühsamen Verhandlungen mit der Deutschen Bahn. Die Privatisierung der Bahn und die damit ständig wechselnden Ansprechpartner machten die Sache nicht leichter. 2001 konnte die Gemeinde das Bahnhofsgebäude erwerben. Zwei Jahre später war aus dem heruntergekommenen Bauwerk wieder das geworden, was es früher einmal war: ein großes Tor zur Marktgemeinde, ein kleines zur Welt.
Der sanierte Bahnhof ist nicht nur bei Zugreisenden beliebt, sondern auch bei Fußballfans. Seit 2012 betreibt Salvatore Sabino in dem Gebäude eine Kneipe. „Wir haben Sky“, berichtet der Gastwirt mit den italienischen Wurzeln. „Viele Leute kommen wegen Fußballspielen, vor allem wenn der FC Augsburg spielt.“Wo heute Sabinos Tresen steht, war früher der Schalterbereich. Daran erinnert sich der heutige erste Bürgermeister Peter Högg noch aus der eigenen Kindheit: „Ich bin regelmäßig vom Bahnhof Diedorf nach Augsburg gefahren“, sagt er. „Der Bahnhofsvorsteher hat früher dort Fahrkarten am Schalter verkauft. Dahinter war der Bereich, wo er per Hand Signale und Weichen bediente.“
Besonders stolz ist der Bürgermeister auf die sanierte Wartehalle, deren Holzteile erneuert wurden und mit einer Verglasung versehen wurde. „Das ist das Besondere an unserem Bahnhof“, so Peter Högg. Dort finden nicht nur Reisende Schutz vor Wind und Wetter, sondern auch Kulturveranstaltungen wie kleine Konzerte und Lesungen statt.
OSerie
In unregelmäßigen Abständen stellen wir in unserer Serie „Bahnhofs geschichten“ehemalige Bahnhofsgebäu de vor und erzählen, wie sie jetzt ge nutzt werden.