Augsburger Allgemeine (Land Nord)
So erhält Müll einen neuen Sinn
Bastelkunst Stojan Vilendecic sammelt, was andere wegwerfen, und formt daraus bemerkenswerte Dinge
„Es soll gar keine Kunst sein“, sagt Stojan Vilendecic über seine Sperrmüll-Skulpturen. Seit vielen Jahren sucht und bewahrt er Fundstücke, setzt sie dann zu Fantasiegebilden zusammen. Seine Werkstatt befand sich bislang, offen einsehbar und von Passanten oft fotografiert, in einem verwilderten Grünstreifen an der Nagahama-Allee, den heute der Provinopark-Komplex bedeckt. Nun ist Stojan in eine Lagerstätte nach Lechhausen ausgewichen.
Hier versammelt er, was ihm auf seinen Routen als Kurierfahrer für Arzneimittel ins Auge fällt. Jetzt kramt er zwei Paddel aus seinem Sammelsurium hervor; aus ihnen soll ein tanzendes Menschenpaar entstehen. Dann holt er hölzerne Kleiderbügel (Aufschrift: Textilhaus Vogel, Neustadt a. d. Aisch) und einen ovalen Spiegel (unverkennbar 1950er Jahre); alles soll sich zu einer rätselhaften Gestalt fügen. Stojan bevorzugt das Menschliche. Allerdings wird er in seinem bosnischen Heimatdorf Masici nahe Banja Luka, wohin er bald wieder reist, sein „Froschkonzert“fortsetzen. Eines der Amphibien ist schon aus allerlei Utensilien entstanden. Jetzt soll es auch ein Akkordeon bekommen.
Im Lechhauser Lager geht unterdessen etwas Ungewöhnliches seiner Vollendung entgegen. Auslöser war ein ausrangierter Rollstuhl, den der Kurierfahrer Stojan Vilendecic vom Straßenrand auflud, nachdem er sich bei Anwohnern vergewissert hatte. „Ich sah den Rollstuhl. Sofort kam die Idee. Aber du kannst keine Idee haben, wenn du nichts zum Basteln hast.“Und das hat er reichlich. In diesem Fall eine Backform für den Hut, Ofenrohre für Arme und Beine, einen Abfalleimer für den Körper des Rollstuhlfahrers. Der hat einen Roboter als Fahrhilfe hinter sich, hauptsächlich bestehend aus Aggregaten eines Kühlschranks. Mit diesem Helfer soll der Behinderte („Ich fühle mit ihm“) mittels eines Mikrofons in Form einer langen Tischlampe kommunizieren ...
Vilendecic’ Kopf ist voller Ideen, wie sein Lager voller Fundstücke ist. Eines bedingt das andere. Er ist der große Kombinator. Wäre er 1944 nicht als armer Bauernbub und ältestes von fünf Kindern in Bosnien geboren, sondern unter besseren Verhältnissen in Deutschland, wohin es ihn 1972 zog – vielleicht hätte sich ihm ein künstlerischer Weg erschlossen. Vielleicht wüsste er dann, dass Paul Klee, 1917 als Rekrut des Weltkriegs nach Gersthofen versetzt, am Lech große Kieselsteine sammelte und bemalte, dass Fundstücke als „Ready mades“oder als Teile von Assemblagen, Collagen, Mobiles künstlerischen Rang erwarben, dass Konsumgüter zum plakativen Gegenstand der Pop Art wurden und so weiter.
Das alles weiß Stojan Vilendecic nicht, denn er verbrachte seine Jahre als Lagerarbeiter, als Aushilfsgärtner und mit anderen Tätigkeiten bei der Augsburger KammgarnSpinnerei (AKS), bis er 2005 in Rente ging. Seitdem hat er fast alle Zeit für das, was er schon als Bub in Masici am liebsten tat: basteln!
„Viele sagen, es ist Kunst. Vielleicht naive Kunst. Ich sage nichts. Bin froh, wenn ich machen kann, was ich kann.“Stojan Vilendecic holt ein altes Fahrrad hervor, einen Gepäckträger, zwei Motorrad-Taschen und erläutert wort- und gestenreich, was er damit vorhat. „Wie kann ich aufhören? Wie geht das?“Offensichtlich lässt das auch die Überfluss- und Wegwerfgesellschaft nicht zu.