Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Zeit ist reif für Utopien, wir müssen uns nur trauen
Eröffnung Im Kleinen Goldenen Saal zerbrechen sich vier ganz unterschiedliche Künstler die Köpfe, wie das Zusammenleben in Zukunft aussieht
Utopie – ein großes Wort. Lebt Stefan Grainer bereits die Menschmaschine („Cyborg“) der Zukunft, wenn er einen Magneten im Finger trägt, damit er Elektrizität spürt? Betritt der Grafiker Götz Gramlich neue Wege, wenn er mit seinen Plakaten zur freien Fantasie ermutigt? Wird Schriftsteller Simon Strauss einmal Lehrmeister von Wirtschaft und Politik sein, weil er mit seiner Literatur zu Leidenschaft und Spekulation („die Energiequellen unserer Gesellschaft“) animiert? Ist es die Berliner Liedermacherin Dota Kehr, die das Du ihr gegenüber als
Verlagsveröffentlichung die größte Utopie erfahren hat? Alle vier gaben sie ihre Statements zur Eröffnung des Friedensfest-Programms erstmals im Kleinen Goldenen Saal beim Moderator Achim Bogdahn ab. Sie lieferten damit einen Vorgeschmack auf über 70 Veranstaltungen bis zum 8. August. Augsburgs Kulturreferent Thomas Weitzel rief dazu auf: Machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach dem Nicht-Ort, dem Land, das keine Karte verzeichnet, aber alle Menschen ständig suchen!
„Die Zeit ist reif für Utopien, wir müssen uns nur trauen, Vorstellungen für unsere Stadt und für das Zusammenleben von morgen zu entwickeln!“, meinte Friedensbüroleiterin Christiane Lembert-Dobler.
Sollten wir eine Erdgemeinschaft herstellen mit weniger Egoismus, wie Stefan Grainer vorschlug? Das Individuum möge bitte nicht solcher Einheit geopfert werden, bat Götz Gramlich: „Vielleicht eher ein Ich im Schwarm?“Die Fantasie sei eine menschliche Konstante, ergänzte Simon Strauss – „aber wo sind heute die Räume für Fantasie“? Utopien bringe nicht der Markt und die Industrie hervor, meinte der Essayist. „Ohne Utopien wird Politik sinnloses Besitzstandswahren“, sagte Dota Kehr und warnte davor, Utopien als spleeniges Zeug zu bekämpfen.
Freilich: Utopien taugen nicht für das Museum. Fünf Schauspieler des Theaters ratterten im Superschnellsprech die Schlagworte der 68er runter, um festzustellen, so habe es keine nachhaltige Wirkung. Im Gedächtnis blieb die enervierende permanente Mahnung dieses CollageStücks: „Und was, bitte, ist mit dem Abfall?“Wer räumt das auf, was der westliche Lebensstil so alles wegschmeißt? Sogar das Allerliebste, die menschlichen Beziehungen? Utopien werden dringend benötigt.