Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit Schlaganfall auf der Polizeiwache
Gesundheit Ein 57 Jahre alter Mann fährt in Schlangenlinien auf der Autobahn. Die Polizei zieht ihn aus dem Verkehr, denkt, er habe Drogen genommen und erkennt den Ernst der Lage nicht
Ingolstadt Es ist ein Abend im Mai. Max R. fährt mit seinem Auto auf der A9 in Richtung München. In Schlangenlinien. Er ist mit etwa 40 Stundenkilometern unterwegs, rammt zwischendurch eine Leitplanke, hinter ihm bildet sich ein Stau. Nördlich von Ingolstadt zieht ihn die Polizei aus dem Verkehr – und meldet am nächsten Tag in ihrem Pressebericht über den Vorfall in der Nacht: Trunkenheit im Verkehr infolge berauschender Mittel. Eine Meldung, so falsch wie das Schicksal von Max R. tragisch, wie sich später herausstellt.
An dem Abend stellen ein Rettungssanitäter und die Polizisten bei dem bulligen Bart- und Glatzenträger noch an der Autobahn „erhebliche Ausfallerscheinungen“fest. Ein Test auf Alkohol verläuft negativ, dafür schlägt ein Drogenschnelltest an. Max R. wird daraufhin in ein Krankenhaus zur Blutabnahme und dann auf die Wache der Verkehrs- polizei Ingolstadt gebracht. Dort sitzt der 57-Jährige aus München schließlich bis zum nächsten Morgen, um auf seine Verlobte zu warten, die ihn abholen will. Als sie gegen 6 Uhr morgens auf der Wache ankommt und ihren zukünftigen Ehemann – die Hochzeit war für Ende August geplant – sieht, sei sie wohl ziemlich erschrocken, heißt es. Sie bringt Max R. zum Arzt und der stellt fest: Der 57-Jährige hat einen Schlaganfall erlitten. Es folgen eine Notoperation, zwei Wochen im Koma, ein Kampf um Leben und Tod.
Max R. überlebte und sei Freunden zufolge in einer Rehaklinik auf dem Weg der Besserung. Doch sein Fall beschäftigt mittlerweile sogar die Staatsanwaltschaft. Sie untersucht, ob den Ingolstädter Polizeibeamten ein „schuldhaftes Fehlverhalten“vorzuwerfen ist. Momentan werde von Münchner Rechtsmedizinern ein Gutachten erstellt, erklärt Wolfram Herrle, Leitender Oberstaatsanwalt in Ingolstadt: „Es geht darum, wann der Mann den Schlaganfall erlitten hat und ob das jemand früher hätte erkennen müssen.“
Die Blutprobe am Abend seiner vermeintlichen „Trunkenheitsfahrt“habe jedenfalls ergeben, dass Max R. weder betrunken noch anderweitig berauscht war. Seine Verlobte erhob daher nach dem Vorfall Vorwürfe gegen die Polizei, die nicht rechtzeitig reagiert habe und gegen den Arzt, der Max R. in der Nacht Blut abnahm, der ebenfalls keine Anzeichen eines Schlaganfalls erkannt hatte.
Die Verkehrspolizei in Ingolstadt reagierte zerknirscht und betroffen. In einem Brief an die Verlobte habe man das eigene Bedauern zum Ausdruck gebracht, erklärte ein Sprecher dem Donaukurier, wenngleich sich die Polizisten nichts vorzuwerfen hätten. Selbst ein Sanitäter, der in der Nacht der Irrfahrt zufällig vor Ort war und der Polizei geholfen habe, habe nachträglich bestätigt, dass von einem Schlaganfall nichts zu erkennen gewesen sei.
Die Staatsanwaltschaft wartet nun das Ergebnis des Münchner Gutachtens ab. Und die Freunde von Max R. veranstalten an diesem Sonntag einen Motorradkorso zu ihrem Kumpel in der Rehaklinik und sammeln Spenden für ihn. Eigentlich wollten sie dabei auch der Verkehrspolizei Ingolstadt einen Besuch abstatten, nahmen von dieser Idee nach Rücksprache mit R.s Verlobten aber wieder Abstand. Auf der Facebook-Seite „Max & sein Kampf zurück ins Leben“berichten sie regelmäßig darüber, wie es Max R. geht. „Lasst uns zeigen, dass wir es nicht hinnehmen, wenn bei der Obrigkeit so geschlampt wird und Unschuldige darunter leiden“, schreibt dort einer der Initiatoren. Auch eine Broschüre zum Thema Schlaganfall wurde gepostet: „Im Notfall richtig und sicher reagieren.“
Warum hat niemand die Erkrankung erkannt?