Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Atmende Häuser

Forschung In Großstädte­n kommen Grünfläche­n oft zu kurz. Ferdinand Ludwig erforscht deshalb neue Wohnformen, in die Pflanzen integriert werden. Wie leben wir wohl in der Zukunft?

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Freising Ferdinand Ludwig lehnt an einer Platane. Er fasst an den knorrigen Stamm, wegen des warmen Wetters hat sich die obere Schicht der Rinde geschält. Behutsam pult er sie ab. Seit die Pflanzen umgezogen sind, seien sie noch etwas empfindlic­h, sagt Ludwig, doch es gehe ihnen „saugut“hier. In zwei akkuraten Reihen stehen die Bäume seit April vergangene­n Jahres auf einem rund einen Hektar großen Feld in der Nähe des oberbayeri­schen Freising. In nächster Zeit sollen es noch viel mehr werden. Ludwig ist Professor für „Green Technologi­es in Landscape Architectu­re“an der Technische­n Universitä­t München. Voriges Jahr sind er und seine 75 Bäume – darunter Platanen, Hainbuchen, Trauerweid­en – von Stuttgart nach München umgezogen. Er hatte sich auf die Professur beworben, seine Bäume mussten mit. Seit zehn Jahren begleiten sie den 38-jährigen Professor, seitdem forscht Ludwig an der sogenannte­n Baubotanik – ein Gebiet, das es vor ihm und einigen Stuttgarte­r Kollegen aus der Forschung gar nicht gab. Als Baubotanik­er will Ludwig herausfind­en, wie Bäume als zentrale

Die Baubotanik hilft auch Vögeln und Insekten

Bauelement­e von Häusern genutzt werden können.

Dafür stehen die 75 Pflanzen auf dem Feld in Freising, sie sind Ludwigs Versuchsob­jekte. Manche von ihnen schießen mit zwei Stämmen aus der Erde, die sich auf etwa einem halben Meter Höhe kreuzen, sich dann trennen und weiter oben wieder treffen – die Stämme scheinen wie miteinande­r verflochte­n. Ihr Geheimnis: Wo heute ein verflochte­ner Baum steht, da waren mal zwei Bäume – Ferdinand Ludwig hat sie gepaart. „Pflanzenad­dition“nennt er das. Indem man die Stämme addiert, werden sie stabiler und können mehr Gewicht tragen. Auf dem Versuchsfe­ld erforscht Ludwig auch, welche Bäume sich am besten für seine Konstrukti­onen eignen, wie sie sich am leichteste­n addieren lassen und unter welchen Bedingunge­n sie am besten wachsen.

In Ludwigs Freisinger Büro hängen Äste in verschiede­nen Formen von der Decke, auf einem Schrank stehen abgesägte Astgabelun­gen. Hinter Glaswänden hat er Modelle seiner Konstrukti­onen aufgestell­t. Hier ragt ein Baum aus einer Wand, dort bilden verflochte­ne Stammkonst­ruktionen eine Fassade. Einige Entwürfe hat Ludwig zusammen mit seinem Team bereits realisiert. Architekt, Botaniker – der 38-Jährige ist ein bisschen von beidem.

Doch was bezweckt der Professor mit diesen Hybriden aus Beton und Bäumen? Was im ersten Moment klingt wie der Kindheitst­raum von einem riesigen Baumhaus, hat einen ernsten Hintergrun­d. Es geht um die Frage, wie Architekte­n künftig Städte bauen, ohne dabei auf Grünfläche­n zu verzichten. „Wir haben einen extremen Bedarf an Grün – schon immer. Wir brauchen im Sommer den Schatten der Bäume, sie kühlen die Stadt“, erklärt Ludwig. Aber Innenstädt­e sind immer dichter bebaut, der Bedarf an Wohnraum ist riesig – und der Platz für Grünfläche­n gering. „Damit steuern wir auf ein Dilemma zu.“Für die Städte der Zukunft plant der Professor deshalb Bauwerke mit in- tegrierten Bäumen, in denen es sich auch wohnen und arbeiten lässt. „Unser Ziel ist es nicht, technische durch lebende Baustoffe zu ersetzen, sondern eher, Gebäude und Bäume zu fusioniere­n.“Dank der Baubotanik müsse nicht extra Platz für Pflanzen geschaffen werden. Sie sorgen so nicht nur für ein besseres Klima, sondern helfen auch Tieren. Vögel und Insekten verlassen dicht bebaute Gebiete, mehr Bäume in Städten könnten das verhindern.

„Das sind wertvolle Ansätze, aus denen man viel ziehen kann, um dem Klimawande­l zu begegnen“, bestätigt Paul Lichtenthä­ler von der Bundesarch­itektenkam­mer. Die Begrünung von Städten sei eine drängende Frage. Ludwigs Entwürfe hält Lichtenthä­ler dennoch teils für gewagt. „Seine Forschung ist interessan­t, Architektu­r bedeutet immer auch Raum für innovative Ideen. Doch mit der Baubotanik werder den sich wohl auch in Zukunft nicht viele Architekte­n beschäftig­en.“Für die meisten seien Bäume als Baumateria­l zu exotisch. Seiner Vision bleibt Ludwig dennoch treu. Die sieht so aus: „Man geht durch ein dicht bebautes Gebiet, fühlt sich aber eigentlich wie im Park.“Dass man irgendwann komplette Häuser aus Pflanzen bauen kann, hält aber auch Ludwig für utopisch. „Es ist naiv, zu glauben, dass man sich ein Haus züchten kann. Da überschätz­t man die manipulati­ven Möglichkei­ten an der Pflanze.“Deren Wachstum sei begrenzt, die Bäume sollen nur dort eingesetzt werden, wo sie Sinn machen.

Was ihn an seiner ungewöhnli­chen Forschung besonders fasziniert? „Die Bäume schreiben ihre eigene Biografie. Unsere Gebäude sind nie fertig und bleiben deshalb immer spannend – wie wir Menschen auch.“Laura Krzikalla, dpa

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Foto: Peter Kneffel, dpa Wohnen wir in Zukunft in solchen Häusern? Ferdinand Ludwig forscht in Freising daran, Gebäude mithilfe von lebenden Pflanzen zu konstruier­en.

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