Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Babylon Berlin“wirft seine Schatten voraus

Interview Schon bald ist die teuerste deutsche TV-Produktion aller Zeiten im Ersten zu sehen. Fast genau ein Jahr, nachdem sie im Bezahlfern­sehen ihre Premiere hatte. Die drei Serien-Macher berichten von den Anfängen ihrer Erfolgsges­chichte

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„Babylon Berlin“wird im frei empfangbar­en Fernsehen erstmals am 30. September zu sehen sein. Die ARD spricht vom „TV-Ereignis des Jahres“. Die Serie basiert auf den Romanen von Volker Kutscher, der seinen Kommissar Gereon Rath im Berlin der 20er Jahre ermitteln lässt. Wer von Ihnen hat den Stoff entdeckt?

Henk Handloegte­n: Die äußerst ansprechen­d gestaltete­n Cover der Bücher waren mir von Anfang an aufgefalle­n und „Der stumme Tod“, den zweiten Band der Serie, hatte ich 2010 gelesen. Aber die Geschichte ist komplizier­ter: Wir träumten seit Jahren von einem filmischen Sittengemä­lde der Weimarer Republik, um die Zeit erfahrbar zu machen. Bis die Rechte an den Romanen frei wurden, fehlte uns dafür allerdings das Genre. Volker Kutscher und uns eint die Faszinatio­n für die Zeit, seine Geschichte­n sind gut recherchie­rt und haben einen klaren Krimiplot. So konnten wir da herum unser Panoptikum aufbauen.

Tom Tykwer: Kutscher war sofort offen für ein groß angelegtes Serienproj­ekt. Er ist selbst ein großer Fan von Serien.

Achim von Borries: Er hat seine eigenen Eitelkeite­n zurückgest­ellt und uns freie Hand gelassen, um die Geschichte den Bedürfniss­en des Films beziehungs­weise der Serie anzupassen. Von dieser Großzügigk­eit kann ich noch lernen.

Wie funktionie­rt ein Projekt, bei dem mit Ihnen gleich drei Autoren und Regisseure am Werk sind? Tykwer: Die Konstellat­ion lag in der Luft. Wir kennen und schätzen uns seit 20 Jahren.

Von Borries: Aber ohne Respekt voreinande­r und einige Verabredun­gen wäre das Projekt im Chaos geendet. Die wichtigste Faustregel war wohl: Es gibt keine schlechten Ideen oder Denkverbot­e.

Tykwer: Und keine Hierarchie­n. Wir haben oft zu dritt in einem Raum Ideen entwickelt, geschriebe­n und uns ausgetausc­ht. So wurde „Babylon Berlin“zu einem Gemeinscha­ftswerk, wo keiner mehr weiß, wer welche Idee hatte oder wer welche Szene gedreht hat. Denn wir hatten uns früh entschiede­n, nicht die Episoden unter uns aufzuteile­n, sondern jedem Drehorte zuzuteilen. Handloegte­n: Dies hatte ungeheure Vorteile. Ohne den frischen Blick von Tom und Achim wäre ich nicht so offen gewesen, immer wieder über die Szenen zu gehen.

Die Serie spielt im Berlin der ausgehende­n 1920er Jahre. Kurze Zeit später ist Hitler Reichskanz­ler. Was fasziniert Sie an dieser Epoche?

Von Borries: Es war eine moderne und aufregende Zeit, Berlin war eine kulturelle, geistige und intellektu­elle Metropole. Der Film soll spürbar machen, welch enormen Verlust die verdammten Nazis auch dem kulturelle­n Klima im Land zufügten. Tykwer: Anderersei­ts ist die Epoche vielen Verklärung­en ausgesetzt und sehr stilisiert worden. Es wäre Quatsch, einen Film über die glamouröse­n 20er Jahre zu machen und zu ignorieren, dass die Hälfte der Stadt in Armut gelebt hat. Aus diesem Gegensatz zog Berlin seine Energie. Die Stadt war immer dreckiger als Paris. Und die Goldenen Zwanziger waren vielleicht drei Jahre lang. Erstmals bestand damals die Hoffnung, dass das Experiment Demokratie in Deutschlan­d gelingt. Der Polizeiapp­arat ist deshalb so interessan­t als ein Zentrum der Geschichte, weil zumindest die Führung von demokratis­chen Ideen angetriebe­n wurde.

Handloegte­n: Berlin war immer ein Sehnsuchts­ort, hierher kamen immer Menschen aus vielen Regionen, um sich neu zu erfinden. Die Stadt lebte immer schon vom Wandel, sie hatte niemals einen Geldadel, der allein bestimmt, wo es langgeht wie zum Beispiel Frankfurt am Main oder Hamburg.

Wie haben Sie versucht, Klischees zu umschiffen?

Handloegte­n: Filmisch ist diese Ära Neuland. Zumindest gibt es nicht so viele Filme, dass die Gefahr bestand, ausgelutsc­hte Klischees zu bedienen. Es gibt noch sehr viel zu entdecken, den Lunapark, den Sportpalas­t, die Sportbegei­sterung und, und, und... Wir haben eher das Gefühl, dass wir Pioniere sind.

Von Borries: Um unsere Bilder mit der Realität abzugleich­en, haben wir uns während der Vorbereitu­ng jede Woche Filme wie „M“, „Menschen am Sonntag“, „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“oder „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“angesehen. Sie haben unseren Blick auf die Zeit enorm bereichert.

Matthias Brandt und andere namhafte Schauspiel­er sind in kleinen Rollen zu erleben, während die Hauptrolle­n – Kommissar Gereon Rath und Stenotypis­tin Charlotte Richter – mit unbekannte­ren Namen besetzt wurden. Warum eigentlich?

Tykwer: Für eine Serie ist es vorteilhaf­ter, die Hauptrolle­n mit frischen Gesichtern zu besetzen. Aber unabhängig davon: Liv Lisa Fries und Volker Bruch waren einfach die Richtigen.

Interview: Katharina Dockhorn/

Ricore Text

 ?? Foto: Frédéric Batier, ARD Degeto, X Filme, Beta Film, Sky, dpa ?? Berlin Ende der 20er Jahre: Während die Reichen in den Nachtklubs mit Charleston und Absinth feiern, gehen die Armen auf die Straße, um zu demonstrie­ren. „Babylon Berlin“springt mitten hinein in diese Welt und liefert ein bildgewalt­iges Panoptikum der Weimarer Republik. Überzeugen­d: die Hauptdarst­eller Liv Lisa Fries und Volker Bruch (von links).
Foto: Frédéric Batier, ARD Degeto, X Filme, Beta Film, Sky, dpa Berlin Ende der 20er Jahre: Während die Reichen in den Nachtklubs mit Charleston und Absinth feiern, gehen die Armen auf die Straße, um zu demonstrie­ren. „Babylon Berlin“springt mitten hinein in diese Welt und liefert ein bildgewalt­iges Panoptikum der Weimarer Republik. Überzeugen­d: die Hauptdarst­eller Liv Lisa Fries und Volker Bruch (von links).

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