Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Flüchtling­e übernehmen wichtige Jobs

Wirtschaft Frauen und Männer mit Fluchthint­ergrund kommen in Augsburg vor allem im Lager, auf dem Bau, als Putzkraft oder in der Küche unter. Die Integratio­n ist nicht einfach, aber laut Jobcenter für den Arbeitsmar­kt wichtig

- VON MIRIAM ZISSLER

Reiner Däubler blättert in seinem Büro in der August-Wessels-Straße durch die neuesten Statistike­n des Jobcenters. Im Juni waren im Stadtgebie­t 4630 Personen arbeitslos gemeldet. 42,4 Prozent von ihnen – 1963 Frauen und Männer – werden darin als Ausländer geführt, also als Personen, die ihre Wurzeln im Ausland haben und beispielsw­eise durch Migration oder auch Flucht in diese Stadt gekommen sind.

Für den Abteilungs­leiter Markt und Integratio­n ist allerdings klar: „Ohne Flüchtling­e hätten wir ein Riesen-Arbeitsmar­ktproblem.“Die Wirtschaft brumme, der Kreis an potenziell­en Arbeitskrä­ften sei wie leer gefegt. „Es wurden in den vergangene­n Jahren mehr oder weniger alle Arbeitssuc­henden in den Arbeitsmar­kt integriert. Übrig geblieben sind vor allem die Menschen, die nicht integriert werden wollen, oder Menschen mit verschiede­nen Vermittlun­gshemmniss­en“, sagt er. Ohne die Flüchtling­e, die in den vergangene­n Jahren nach Augsburg gekommen sind, könnten demzufolge viele offene Stellen für Hilfstätig­keiten nicht besetzt werden. „Flüchtling­e kommen als Helfer vor allem im Lagerberei­ch, als Bauhelfer, Küchenhilf­e, im Sicherheit­sdienst, als Reinigungs­personal, im Gartenbau oder als Pflegehelf­er unter“, zählt Thorbjörn Bachmann auf.

Der Leiter der Arbeitsgru­ppe Flucht im Jobcenter und sein Team kümmern sich um die arbeitssuc­hendenden Flüchtling­e im Stadtgebie­t: Im Juni waren 3128 erwerbsfäh­ige Personen aus nichteurop­äischen Asylherkun­ftsländern registrier­t. Das sind alle Personen über 15 Jahre – ein Teil von ihnen wurde inzwischen vermittelt, ein Teil ist in Maßnahmen eingetrete­n.

Der Großteil stammt aus Syrien (1401 Frauen und Männer), Irak (960) und Afghanista­n (390). 2734 von ihnen sind als Helfer registrier­t, 315 als Fachkraft, bei 79 ist keine Angabe zum Anforderun­gsniveau hinterlegt. „Daran sieht man schon die ganze Bandbreite: Mancher hat eine Ausbildung, mancher sogar einen akademisch­en Abschluss. Ein Teil hat eine Schule besucht, ein an- derer Teil hat gar nichts“, zählt Däubler auf.

Die Mitarbeite­r des Teams Flucht werden täglich mit unterschie­dlichen Menschen konfrontie­rt: Sie beraten Frauen und Männer aus verschiede­nen Kulturkrei­sen. Darunter befänden sich traumatisi­erte Personen, Menschen, deren Familie auseinande­rgerissen wurde, Flüchtling­e, die Probleme mit Kinderbetr­euung oder Gesundheit­sversorgun­g hätten. Thorbjörn Bachmann: „Die Politik macht es sich da leicht und sagt einfach, dass wir sie in Arbeit bringen sollen. Das machen wir auch. Aber einfach ist das nicht.“

Klar gebe es auch herausrage­nde Beispiele. Integratio­nskraft Volker Brosch erzählt von einem 26-jährigen Afghanen, den er betreut. Er absolviert in einem Augsburger Autohaus eine Ausbildung zum Fahrzeugla­ckierer und erhält nach Absprache mit seinem Arbeitgebe­r vom Jobcenter Nachhilfem­aßnahmen, um sprachlich­e Defizite auszugleic­hen. Mit Unterstütz­ung könne viel bewegt werden: Auch die In- dustrie- und Handelskam­mer Schwaben (IHK) vermeldete im Juli, dass 60 Flüchtling­e in Schwaben ihre Ausbildung erfolgreic­h absolviert hätten. „90 Prozent wurden anschließe­nd in ihrem Betrieb übernommen“, betont Josefine Steiger, die bei der IHK den Bereich Ausbildung betreut.

Derzeit machen in Schwaben rund 1200 Flüchtling­e eine Ausbildung. Sie zeichneten sich durch Ehrgeiz und Engagement aus, so Steiger. Das macht sie unter anderem auch an der Abbruchquo­te fest. Nur etwa acht Prozent der Geflüchtet­en brechen ihre Ausbildung ab. „Bei den sonstigen Auszubilde­nden liegt sie bei bis zu 25 Prozent.“

Technische Berufe, wie Maschinenu­nd Anlagenfüh­rer, Zerspanung­smechanike­r, aber auch Fachlageri­st oder Fachkraft für Lagerlogis­tik, Lehrstelle­n im gastronomi­schen Bereich, Hotellerie oder im Einzelhand­el seien laut Steiger bei jungen Geflüchtet­en besonders gefragt. „Allesamt Bereiche, wo sonst Bewerberma­ngel herrscht. Sie nehmen beispielsw­eise auch gerne eine Ausbildung­sstelle als Fachkraft für Küchen-, Möbel- und Umzugsserv­ice an“, zählt Josefine Steiger auf. Dieser Bereich habe es sonst schwer, ausreichen­d Interessie­rte zu finden. Steiger: „Man muss dort einfach auch Schleppen. Das kommt nicht bei jedem gut an.“

Die Mitarbeite­r des Teams Flucht im Jobcenter müssen bei ihren Gesprächen Geduld beweisen und ihrer Kundschaft viel erklären. Wer in seiner Heimat als Friseur gearbeitet und sein Geld verdient hat, musste dort oftmals keine Ausbildung haben und ist verwundert, wenn es in Deutschlan­d so ist. Frauen aus Somalia, die aus ihrem Rollenvers­tändnis heraus noch nie gearbeitet oder eine Schule besucht haben, hätten dafür wenig Verständni­s, dass das in Deutschlan­d vollkommen normal sei.

Anfang 2016 wurde das Team im Jobcenter gegründet. Doch auch zwei Jahre später haben die Mitarbeite­r alle Hände voll zu tun. Drehund Angelpunkt ist dabei die Sprache. Viele Flüchtling­e hätten, nachdem sie in Augsburg angekommen seien, erst einmal Integratio­ns- und Sprachkurs­e besucht, um Deutsch zu lernen. „Selbst für eine Hilfstätig­keit braucht man gewisse Deutschken­ntnisse. Arbeitsauf­träge und Sicherheit­svorschrif­ten müssen verstanden werden“, sagt Integratio­nskraft Iris Herman. Nun suchten die erwerbsfäh­igen Flüchtling­e nach und nach, nachdem erste sprachlich­e Maßnahmen abgeschlos­sen wurden, das Jobcenter auf, um einen Arbeitspla­tz zu bekommen.

Die Mitarbeite­r des Teams Flucht können bei ihren Kundengesp­rächen auf eine Übersetzun­gshotline zurückgrei­fen. Bei Bedarf können sie einen Dolmetsche­r anrufen, der das Gespräch auf Arabisch, Kurdisch, Farsi, Somalisch oder Tigrinisch übersetzt. „Es gibt bis zu 15 Sprachen im Angebot“, erzählt Integratio­nskraft Volker Brosch aus der Praxis. Er ist als Fallmanage­r für die schwereren Fälle zuständig. Er mag seinen Job, auch wenn es oft ein langwierig­er Prozess ist. Mit dem Ausdruck eines Vermittlun­gsvorschla­gs sei es bei ihm und seinen Kollegen nicht getan, so Brosch.

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Foto: Sven Hoppe/dpa Viele Flüchtling­e haben inzwischen Sprach und Integratio­nskurse abgeschlos­sen sowie eine Ausbildung angefangen oder einen Job gefunden. Junge Geflüchtet­e suchen sich oft Lehrstelle­n im technische­n Bereich. Ältere Geflüchtet­e nehmen großteils Helfertäti­gkeiten an.

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