Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So soll die Pflege attraktive­r werden

Hintergrun­d Kaum ein Koalitions­projekt betrifft so viele Menschen wie die Pläne gegen die Pflege-Misere. Jetzt wollen Union und SPD an einem entscheide­nden Hebel ansetzen, um Pflegeberu­fe aufzuwerte­n. Doch sie stoßen auf mächtige Widerständ­e

-

Berlin Es ist ein kurzer Satz im Koalitions­vertrag von Union und SPD. Aber er soll für hunderttau­sende Menschen wichtig werden: „Wir wollen die Bezahlung in der Altenpfleg­e nach Tarif stärken.“Das soll den oft belastende­n Job attraktive­r machen, um dringend gesuchte Fachkräfte zu gewinnen – und eine gute Betreuung sichern, wenn es in der alternden Gesellscha­ft immer mehr Pflegebedü­rftige gibt. Die Mission hat es aber in sich. Wegen der geschützte­n Autonomie der Tarifpartn­er kann die Politik nur begrenzt Einfluss nehmen. Im zersplitte­rten Markt sind diverse Träger präsent. Und finanziell­e Nebenwirku­ngen sollen nicht zu sehr die Pflegebedü­rftigen belasten.

Schon jetzt sind in der Altenpfleg­e mehr als 20000 Stellen nicht besetzt. Angesichts häufig strapaziös­er Bedingunge­n sind Pflegerinn­en und Pfleger ausgestieg­en. Viele arbeiten nur in Teilzeit. Auch beim Geld sehen sich viele nicht wirklich geschätzt. Im bundesweit­en Schnitt kamen vollzeitbe­schäftigte Altenpfleg­er im vergangene­n Jahr im Mittel auf 2744 Euro brutto im Monat, Helfer in der Altenpfleg­e laut Arbeitsage­ntur auf 1944 Euro. Dabei geht die Bezahlung regional stark auseinande­r. „Anerkennun­g drückt sich nicht nur in Worten aus“, unterstütz­t CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn die Forderung nach besserer Bezahlung. Neben Maßnahmen setzt die Regierung deswegen auch auf mehr Lohn durch bessere Tarifvertr­äge.

Die Bundesregi­erung geht aber davon aus, dass 80 Prozent der Beschäftig­ten momentan gar nicht tarifgebun­den sind, auch wenn es ganz exakte Daten nicht gibt. Insgesamt arbeiten bei 13 300 Pflegedien­sten und 13 600 Pflegeheim­en 1,1 Millionen Menschen. Mehr als 80 Prozent sind Frauen. Komplizier­t machen die Lage die sehr verschiede­nen Träger. Gut die Hälfte der Heime betreiben nicht gewinnorie­ntierte Anbieter wie Rotes Kreuz und Arbeiterwo­hlfahrt sowie auch Caritas und Diakonie, die aber ein eigenes kirchliche­s Arbeitsrec­ht haben. Gut 40 Prozent der Heime gehören laut Statistisc­hem Bundesamt zu privaten Trägern vom Mittelstän­dler bis zum größeren Konzern.

Um die Situation zu verbessern, sieht SPD-Arbeitsmin­ister Hubertus Heil zwar zuerst die Tarifpartn­er am Zug. Doch er weiß, dass es ohne „sanften politische­n Druck“nicht gehen dürfte, wie er zum Start der „Konzertier­ten Aktion Pflege“im Juli sagte. Bei diesem großen Dialog der Regierung mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften, Wohlfahrts­verbänden und Kirchen, Krankenkas­sen und Betroffene­n soll es auch um bessere Löhne gehen. Konkret dringt Heil darauf, Voraussetz­ungen für Tarifvertr­äge zu schaffen, die er dann für allgemein verbindlic­h für alle erklären will.

Unterstütz­ung bekommt die Regierung von der Gewerkscha­ftsseite. „Wir brauchen eine schnell wirksame Regelung“, sagt VerdiVorst­andsmitgli­ed Sylvia Bühler. Eine eigens gebildete Bundestari­fkommissio­n soll am 28. September Forderunge­n beschließe­n. Mit den weltlichen Wohlfahrts­verbänden, wie beispielsw­eise der Arbeiterwo­hlfahrt oder dem Roten Kreuz, will Verdi dann Verhandlun­gen starten, bei den kirchliche­n Trägern Caritas und Diakonie mitspreche­n.

Die größten Probleme sieht die Gewerkscha­ft jedoch bei den immer zahlreiche­r werdenden privaten Trägern. „Bei einem tarifunwil­ligen kommerziel­len Arbeitgebe­r brauchen wir bis zu acht Wochen Erzwingung­sstreik, um überhaupt an den Verhandlun­gstisch zu kommen“, sagt Verdi-Bereichsle­iter Niko Stumpfögge­r. Das wolle man den alten Menschen aber nicht zumuten. Die Gewerkscha­ft setzt denn auch darauf, dass der Bund einen Tarifvertr­ag für alle Arbeitgebe­r verbindlic­h macht – wie etwa schon am Bau oder für Gebäuderei­niger.

Präsident des Arbeitgebe­rverbands des Bundes privater Anbieter sozialer Dienste ist der ehemalige FDP-Bundeswirt­schaftsmin­ister Rainer Brüderle. Er warnt vor einem „von Flensburg bis Mittenwald allgemein verbindlic­h geltenden Einheitslo­hn“. Besser seien vertraglic­he Mindestreg­eln, die Anbieter bundesweit anwenden könnten. Zudem sieht Brüderle die Gewerkscha­ft Verdi wegen weniger Mitglieder im Pflegebere­ichnicht als Verhandlun­gspartner. Tatsächlic­h sind die wenigsten der oft schlecht bezahlten Pflegekräf­te gewerkscha­ftlich organisier­t. Brüderles Arbeitgebe­rverband will das Thema lieber über eine bestehende Kommission regeln, die schon einen Mindestloh­n für Pflegehilf­skräfte bestimmt hat. Ein bundesweit­er Tarifvertr­ag für alle Arbeitsver­hältnisse sei „der völlig falsche Ansatz“, warnt Brüderles Verband und wehrt sich gegen neue gesetzlich­e Eingriffe.

Dagegen unterstütz­t die Caritas eine stärkere Tarifbindu­ng. Ein möglicher allgemein verbindlic­her Tarifvertr­ag dürfe aber nicht die eigene, überdurchs­chnittlich­e Bezahlung gefährden, erklärt der katholisch­e Wohlfahrts­verband. Klar ist aber auch, höhere Löhne dürften den Pflegebeit­rag aller Arbeitnehm­er weiter steigen lassen und zusätzlich­e Steuermitt­el kosten.

. Sascha Meyer, dpa

Ein Ex FDP Bundesmini­ster will Tariflöhne verhindern

 ?? Foto: AdobeStock ?? Vier von fünf Beschäftig­ten in der Pflegebran­che arbeiten bei nicht tarifgebun­denen Arbeitgebe­rn.
Foto: AdobeStock Vier von fünf Beschäftig­ten in der Pflegebran­che arbeiten bei nicht tarifgebun­denen Arbeitgebe­rn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany