Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit Engeln im Sinkflug
Mode Einmal im Jahr präsentiert die Unterwäsche-Marke Victoria’s Secret mit viel Glamour ihre neue Kollektion. Die Dessous waren Verkaufsschlager. Nun verliert die Firma Kundinnen. Ist der Sex-Appeal etwa nicht mehr angesagt?
Columbus/New York Sinkende Verkaufszahlen, Aktie im Sturzflug und Image-Probleme: Die einst schillernde US-Modemarke Victoria’s Secret hat sich beim Mutterkonzern L Brands vom Aushängeschild zum Problemfall entwickelt. Das Reizwäsche-Label, das bei seinen pompösen Modenschauen stets die internationale Elite der Top-Models über den Laufsteg schickt, trifft den Nerv vieler Kundinnen nicht mehr. Steht sich das Unternehmen mit seiner Sex–Sells-Vermarktung in Zeiten der „MeToo“-Bewegung selbst im Weg?
Die Zahlen sehen zumindest nicht gut aus. Obwohl die US-Wirtschaft floriert und die Konsumausgaben boomen, ging der Absatz bei Victoria’s Secret im zweiten Quartal zurück. Erschwerend hinzu kam, dass auch die für jüngere Käuferinnen gedachte und bislang als Hoffnungsträger geltende Zweitmarke Pink schwache Ergebnisse lieferte. Die Mutter L Brands reagierte mit einer Gewinnwarnung, was die Aktie am Donnerstag um elf Prozent fallen ließ. Auf Jahressicht hat sich der Kurs gar schon halbiert.
„Victoria’s Secret“kämpft schon mit verschärfter Konkurrenz und dem „Athleisure“-Trend – Kleidung und Unterwäsche werden schlichter, bequemer und sportlicher. Gehen womöglich die aufreizenden und teuren Dessous mittlerweile nicht nur an der Mode, sondern auch am Zeitgeist vorbei? In der Glamour-Welt der Models, für die der Vertrag als Victoria’s-Secret-Engel einen Karrierehöhepunkt markiert, mag das Label weiter das Maß aller Dinge sein. Doch der gesellschaftliche Blick auf Schönheitsideale hat sich gewandelt.
Laut einer Umfrage der Marktforschungsfirma YouGov hat Victoria’s Secret bei Frauen im Alter zwilänger schen 18 und 49 Jahren kräftig an Ansehen eingebüßt. Der Buzz Score, der anzeigen soll, wie angesagt eine Marke ist, fiel in den letzten zwei Jahren von 31 auf 23 Punkte. Das Label habe sich im Me-TooMoment verfangen, das sei bei der Fashion Show deutlich geworden, meint Paul Hiebert von YouGov. Die jüngste Modenschau habe kurz nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Hollywood-Produzent Harvey Weinstein stattgefunden – die Einschaltquoten seien um 30 Prozent eingebrochen.
Robert Passikoff, Gründer und Chef der Analysefirma BrandKeys, widerspricht dieser Theorie. „Ich glaube, es wäre falsch, einen Zusammenhang mit der MeToo-Bewegung herzustellen“, sagte er dem US-Wirtschaftsblatt Forbes. Tatsächlich sei Victoria’s Secret schon seit ein paar Jahren auf dem absteigenden Ast. Das Problem seien eher die Produkte und allgemeinere Branchentrends wie das Abwandern der Kundschaft ins Internet.
Die Sexismus-Kritik und Vorwürfe der Verherrlichung eines ungesunden Schönheitsideals gibt es schon wesentlich länger als #MeToo. 2014 etwa brachte sich Victoria’s Secret mit einer MarketingKampagne in die Bredouille, die unter dem Titel The Perfect Body (der perfekte Körper) großgewachsene Unterwäsche-Models zeigte, deren Taillen vielen Menschen unnatürlich dünn vorkamen. Eine Petition, die dem Label unverantwortliches Marketing und schädlichen Einfluss auf junge Frauen vorwarf, erhielt 33 000 Unterschriften.
Fest steht jedenfalls: Die Geschäfte laufen schlecht. Selbst mit Rabatten und Sonderverkaufsaktionen konnten die Verkäufe im Sommer nicht ordentlich angekurbelt werden, die Lagerbestände wachsen. Die Produktqualität könnte ebenfalls ein Problem sein – laut YouGov-Umfrage ist die Kundenzufriedenheit seit 2016 von 42 auf 30 Punkte gesunken. In einer Konferenzschalte kündigte das Management an, dieses Jahr 20 Filialen in Nordamerika zu schließen. Fragen zur Marketing-Botschaft begegnete L-Brands-Chef Martin Waters ausweichend. Er sagte lediglich: „Mit der Marke sind wir nicht exakt da, wo ich denke, dass wir sein müssten.“Hannes Breustedt, dpa