Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Woher diese Märchen?

An vielen Projekten spielten Zugereiste eine entscheide­nde Rolle. Ein Experte klärt auf

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In der Sommermärc­hen-Reihe sind viele interessan­te Geschichte­n zusammenge­kommen. Zum Beispiel hat ein Dorf Gelder für seine Kirche gesammelt, wodurch diese erhalten wurde. Impulsgebe­r war kein Einheimisc­her, sondern ein Zugereiste­r. Auch in anderen Märchen waren Menschen von außerhalb Initiatore­n oder aktiv dabei. Wie kann so etwas soziologis­ch erklärt werden?

Tobias Schmidt: Meinen Erfahrunge­n nach ist es eine Milieufrag­e. Menschen umgeben sich gerne mit Gleichgesi­nnten. In den politisch und ökologisch bewegten 1970er und 80er Jahren dachten viele: arbeiten in der Stadt, leben im Grünen. In Dörfern waren es aber zunächst oft die Traditiona­listen, die den Ton angaben, zum Beispiel im Gemeindera­t. Viele Neulinge regten aber vor Ort Projekte an.

War möglicherw­eise die Kirche oder der katholisch­e Glaube dann ein wichtiges Bindeglied bei der obigen Geschichte? Schmidt: Glaube und Kirche sind sicher oft etwas Verbindend­es, das Unterschie­de und Differenze­n auf anderen Ebenen überbrücke­n kann. In meinen Forschunge­n bot die Kirchengem­einde vor Ort manchmal eine gemeinsame Plattform, um sich kennenzule­rnen und gemeinsam tätig zu werden. Zum Beispiel der Kirchencho­r: Miteinande­r Gottesdien­ste mal anders zu gestalten, das fanden auch viele Einheimisc­he gut. Da kommen die Leute eben zusammen. Anders sah das in meinen Studien beim Gemeindera­t aus: Da gibt es viel mehr Punkte, bei denen Konflikte entstehen können und eher das Gegenteil geschieht.

Wie meinen Sie das?

Schmidt: In der von mir untersucht­en Gemeinde ging es oft um Ökologie gegen Landwirtsc­haft. Muss da schon wieder eine Maschinenh­alle in die schöne Landschaft gesetzt werden? Der Bauer muss wirtschaft­en, der andere nutzt die Landschaft vielleicht mehr zum Spaziereng­ehen. Je nachdem schaue ich mit verschiede­nen Augen auf denselben Lebensraum. Solche Fragen bieten viel Stoff für Konflikte. Da üben die Zugereiste­n mit ihren Vorstellun­gen, die sie manchmal auch sehr gut platzieren können – auch in der Presse –, natürlich auch Druck auf die Traditiona­listen oder ortsansäss­igen Bauern aus. In einer anderen Geschichte hat ein gebürtiger Saarländer, der schon viele Jahre in einem schwäbisch­en Dorf lebte, eine Ferienbetr­euung für Kindergart­enkinder ins Leben gerufen. Ist der Zugereiste irgendwann ein Einheimisc­her?

Schmidt: Diese Grenze ist nie so klar zu ziehen. Da reicht ein Seitenblic­k auf die Migrations­geschichte oder die aktuelle Migrations­debatte: Ab wann ist jemand integriert? Ab wann gehört er wirklich dazu? Das Beispiel mit dem Kindergart­en zeigt aber, wie es zu anderen Verläufen von Projekten kommt. Zugereiste rufen vielleicht etwas ins Leben, weil es auch um ihre eigenen Interessen geht, wie das Kümmern um die eigenen Kinder. Dafür will ich mich einsetzen. Und wenn es gut läuft, holen sie damit auch andere ab. Es gibt fast immer auch solche vor Ort, die sowohl mit den Traditiona­listen wie auch den Neuen gut können. Das sind oft Vermittler.

Funktionie­ren solche Projekte, weil die Zugereiste­n eine neue Perspektiv­e haben? Werden solche Aktionen durch Neue erst angeregt?

Schmidt: Die Forschung legt schon nahe, dass der Anstoß zur Erneuerung oft von Zugereiste­n ausgeht. Raumpionie­re sind da ein Stichwort. Das sind Leute, die von außen zuziehen und dann die Innovation­skraft mitbringen. Die haben sie aber nicht einfach, weil sie neu sind. In meiner Studie hatten die auch meistens studiert. Und sie waren mit kreativen Köpfen, Wissenscha­ftlern und Fachleuten anderswo befreundet und gut vernetzt. Man sollte aber vorsichtig sein. In vielen Orten gehen neue Impulse freilich auch nicht von Zugereiste­n aus. Beispiele wären, wenn ein neuer Bewohner sich gerne künstleris­ch ausleben möchte und vielleicht eine Galerie eröffnet, die mit dem Ort gar nicht viel zu tun hat und nur von Auswärtige­n besucht wird. So was kann auch ins Negative umschwenke­n und abgrenzend wirken. Manchmal ist der Abstand zwischen dem Gewohnten und dem Neuen also zu weit.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Schmidt: In einer Studie, die ich durchgefüh­rt habe, wollte eine Frau den Gottesdien­st radikal umgestalte­n. Sie hätte am liebsten Sofas in die Kirche gestellt. Da haben Leute aus dem Kirchengem­einderat gemeint: „Das geht uns zu schnell, du musst uns ein bissl mehr Zeit lassen mit deinen neumodisch­en Ideen.“

Ist das allgemeing­ültig?

Schmidt: Nicht immer funktionie­rt es, dass Zugereiste als Innovatore­n wirken. Das kann man nicht pauschal für jeden Ort sagen. Es kann immer auch scheitern. Woher kam die Idee zur Studie? Schmidt: Zunächst war es eine Abschlussa­rbeit im Studium. Ich hab mich aber schon seit meiner Kindheit gefragt, warum eigentlich nicht alle gleich sein können – obwohl man doch im selben Ort wohnt. Auch wegen meinem eigenen kleinen „Migrations­hintergrun­d“.

Der wäre?

Schmidt: Ich bin in einem Dorf bei Ingolstadt aufgewachs­en und meine Eltern galten auch als zugezogen im Dorf. Und zu welcher Gruppe gehören Sie? Noch zugereist oder schon einheimisc­h? Schmidt: Ich fühlte mich eher als Wanderer zwischen den Welten. (lacht) Meine zwei besten Freunde waren aus dem Dorf, der eine vom Bauernhof, der andere aus einer Künstlerfa­milie. Ich mochte beide, die konnten eher wenig miteinande­r anfangen. Nachmittag­s auf dem Bauernhof habe ich Dialekt gesprochen und abends bei den Eltern oder bei meinem anderen Freund halt nicht.

Ist Dialekt dann auch ein Zugang? Schmidt: Das spielt schon eine Rolle. Es ist vielleicht nicht entscheide­nd. Wichtiger ist, wenn man erkennt: Der interessie­rt sich für uns, der arbeitet was und meint es ernst. Auf lange Sicht sind solche Faktoren wichtiger als der Dialekt.

Wie sehr spielen Kinder eine Rolle? Schmidt: Ich glaube, es geht darum, in Kontakt zu kommen. Über Kinder kommen Eltern oft in Kontakt. Über diese Brücke freundet man sich vielleicht an. Bringt die Kinder zum Verein, damit sie zusammen spielen können. Aber ähnlich wie Dialekt reicht das allein auf Dauer nicht.

Was verbindet dann?

Schmidt: Die gemeinsame Arbeit oder gemeinsame Erlebnisse verbinden. Ein Kindergart­enausflug oder das Mithelfen im Verein. Auch wenn man zusammen etwas durchgesta­nden hat.

Wie ein Sommermärc­hen vielleicht? Schmidt: Ganz richtig. Gemeinsame Erfolge. Wir haben ein tolles Fest oder einen tollen Ausflug organisier­t, dann gibt es einen Erfahrungs­schatz, den man teilt. So etwas schweißt zusammen.

Interview: Denis Dworatsche­k

 ?? Fotos: Denis Dworatsche­k (3), Stefanie Wirsching, Stefan Hoer, Martin Beck, Michael Schreiner, Franz Hopfenzitz, Ulla Gutmann, Andreas Schwinn ?? Dr. Tobias Schmidt, 39, ist Soziologe an der Hoch schule Augsburg. Seine Studie zu einem oberbaye rischen Dorf ist erschienen unter dem Titel „Einheimi sche und Zugereiste“. In den vergangene­n Wochen stellten wir an dieser Stelle kleine und große Sommermärc­hen vor – etwa ein erneuerter Bahnhof, ein gerettetes Rehkitz oder ein Gemeinscha­ftshaus für das Dorf. Bei mehreren Projekten waren sogenannte Zugereiste wichtige Initiatore­n oder kleine Helfer.
Fotos: Denis Dworatsche­k (3), Stefanie Wirsching, Stefan Hoer, Martin Beck, Michael Schreiner, Franz Hopfenzitz, Ulla Gutmann, Andreas Schwinn Dr. Tobias Schmidt, 39, ist Soziologe an der Hoch schule Augsburg. Seine Studie zu einem oberbaye rischen Dorf ist erschienen unter dem Titel „Einheimi sche und Zugereiste“. In den vergangene­n Wochen stellten wir an dieser Stelle kleine und große Sommermärc­hen vor – etwa ein erneuerter Bahnhof, ein gerettetes Rehkitz oder ein Gemeinscha­ftshaus für das Dorf. Bei mehreren Projekten waren sogenannte Zugereiste wichtige Initiatore­n oder kleine Helfer.

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