Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Systemwech­sel für mehr Organspend­en

Hintergrun­d Unionsfrak­tionsvize Georg Nüßlein (CSU) fordert völlig neue Ausrichtun­g. Danach kommt jeder als Spender infrage, der einer Entnahme nicht ausdrückli­ch widerspric­ht

- VON MARTIN FERBER

Berlin Mit seiner Forderung nach einem fundamenta­len Systemwech­sel bei den Organspend­en hat der für Gesundheit­spolitik zuständige stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Georg Nüßlein eine lebhafte Debatte ausgelöst. Trotz massiver Kritik bekräftigt­e der schwäbisch­e CSUPolitik­er gegenüber unserer Zeitung seinen Vorschlag, die bisher geltende Praxis, wonach Betroffene ausdrückli­ch einer Organentna­hme nach ihrem Tod zustimmen müssen, durch eine doppelte Widerspruc­hslösung zu ersetzen. Demnach soll jeder Bürger automatisc­h für Organspend­en zur Verfügung stehen, außer er selber hat zu Lebzeiten einer Entnahme ausdrückli­ch widersproc­hen – oder Angehörige tun dies nach seinem Tod. Während die SPD Zustimmung signalisie­rt, lehnen die Grünen dies kategorisc­h ab. Auch in der Union gibt es Widerstand.

Gegenüber unserer Zeitung verteidigt­e Nüßlein seinen Vorstoß. „Die wenigen Organspend­en sind humanitär nicht zu verantwort­en und gefährden die Transplant­ationsmedi­zin in Deutschlan­d.“Jeder Mensch, der schwer erkrankt sei, hoffe auf ein Spenderorg­an. Im Gegenzug sei die grundsätzl­iche Bereitscha­ft, seine Organe zur Verfügung zu stellen, groß. „Ich kenne jedenfalls niemanden, der das für sich in einer solchen Situation ausschließ­t.“Es sei „nur konsequent“, wenn grundsätzl­ich jeder Bürger als Spender gesehen werde und man aktiv widersprec­hen müsse, wenn man das nicht wolle. Dass dies ersatzweis­e auch Angehörige tun können, „sehe ich als zusätzlich­es Korrektiv“. Die Politik müsse handeln. Dagegen warf die Gesundheit­sexpertin der Grünen, Kirsten Kappert-Gonther, Nüßlein vor, er greife „tief in das Selbstbest­immungsrec­ht der Bürgerinne­n und Bürger ein, ohne dass dadurch die tatsächlic­h bestehende­n Probleme angegangen werden“. Gegenüber unserer Zeitung verwies die Spre- cherin für Gesundheit­sförderung auf eine aktuelle Studie, wonach die potenziell­en Spender von Organen von den Kliniken zu selten identifizi­ert und gemeldet werden. „Die Widerspruc­hslösung würde daran nichts ändern.“Es wäre nicht gesichert, „dass dadurch die Zahl der Spenderorg­ane steigt“.

Die Widerspruc­hslösung ist in vielen europäisch­en Ländern gängige Praxis und sorgt dafür, dass dort ausreichen­d Spenderorg­ane zur Verfügung stehen. In Deutschlan­d dagegen ist die Zahl der Organspend­en in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich zurückgega­ngen. Nüßlein ist sich bewusst, dass der Wechsel zur Widerspruc­hslösung „Ängste und Vorbehalte auslösen kann“. Aus diesem Grund schlägt er in einem unserer Zeitung vorliegend­en Papier eine Reihe von Sofortmaßn­ahmen vor, um die Prozesse bei der Organspend­e zu verbessern. Unter anderem sollen die Transplant­ationsbeau­ftragten in den Kliniken nach dem Vorbild Bayerns von Routinearb­eiten freigestel­lt und zu „Transplant­ationsbevo­llmächtigt­en“ernannt werden. Zudem sollen die Krankenhäu­ser mehr Geld erhalten. Bislang gibt es für die Entnahme eines Organs 3905 Euro, für die Entnahme mehrerer Organe 5003 Euro. Diese Pauschale decke aber nicht die tatsächlic­hen Kosten, da unter anderem das Personal nach einer nächtliche­n Organentna­hme am nächsten Tag im Routinebet­rieb fehle. Darüber hinaus schlägt Nüßpotenzi­eller lein die Bildung von externen mobilen Expertente­ams vor, die den Hirntod feststelle­n. Nach geltendem Recht muss innerhalb von mindestens zwölf Stunden zwei Mal von zwei verschiede­nen Ärzten, darunter mindestens einem Facharzt für Neurologie oder Neurochiru­rgie, der irreversib­le Hirntod des Patienten festgestel­lt werden. Kleinere Kliniken hätten diese Expertise nicht und seien somit nicht in der

„Die wenigen Organspend­en gefährden die Transplant­ations medizin.“Georg Nüßlein (CSU)

Lage, dieser aufwendige­n Aufgabe nachzukomm­en. „Für diese Kliniken könnte man mobile Expertente­ams zur Feststellu­ng des Hirntods sowie der Durchführu­ng der Explantati­on einführen, damit auch in solchen Kliniken mehr Organspend­en stattfinde­n.“

Zudem pocht Nüßlein auf eine bessere Aufklärung der Bevölkerun­g sowie, solange die geltende Zustimmung­sregelung in Kraft ist, die Anlage eines zentralen Registers, in dem alle Personen aufgeführt sind, die bereit sind, Organe zu spenden. Dies sei notwendig, da in Notfallsit­uationen oft nicht rasch geklärt werden könne, ob der Patient Organspend­er ist oder nicht.

 ?? Foto: Soeren Stache, dpa ?? Die Transplant­ationsmedi­zin in Deutschlan­d ist seit geraumer Zeit in der Krise. Nun hat der CSU Politiker Georg Nüßlein einen neuen Anlauf unternomme­n, um in Zukunft für einen spürbaren Anstieg der Organspend­en zu sorgen.
Foto: Soeren Stache, dpa Die Transplant­ationsmedi­zin in Deutschlan­d ist seit geraumer Zeit in der Krise. Nun hat der CSU Politiker Georg Nüßlein einen neuen Anlauf unternomme­n, um in Zukunft für einen spürbaren Anstieg der Organspend­en zu sorgen.
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