Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (127)

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Er ging ein Stück hinein, sah sich aufmerksam um, sie war leer, er schloß rasch eine Haustür auf und trat in das Haus. Sorgfältig schloß er wieder ab. Ohne Licht tastete er sich eine Treppe hinauf, öffnete eine Etagentür, knipste Licht an und sagte halblaut: „Alles in Ordnung, Frau Pastorin. Schlafen Sie weiter.“

Er hörte die Frau im Bett rascheln, dann sagte eine alte, helle Frauenstim­me: „Ist gut, Herr Lederer – wie war’s im Theater?“

„Schönschön“, sagte der Mann und hängte Ulster und Hut in einen Schrank.

„Es ist übrigens möglich, daß ein Kollege mit seiner Frau noch kommt – lassen Sie sich nicht stören, Grogwasser kriege ich allein warm.“

„Danke schön“, sagte die alte Frau.

„Schlafen Sie auch gut. Frühstück wie immer?“

„Frühstück wie immer“, sagte der Mann. „Gute Nacht.“

Er knipste das Licht aus auf dem Flur und ging in sein Zimmer. Dort

stand er einen Augenblick nachdenkli­ch im Dunkeln.

Der Wind brauste ums Haus, heulte an den Scheiben, dann strich es dagegen wie scharfer Schnee.

„Schlechte Nacht. Schlechtes Wetter. Schlechte Gegend“, wiederholt­e er und seufzte.

Er steht eine Weile da im Dunkeln, lauscht auf den Wind und Schnee. ,Vielleicht kommt er gar nicht‘, denkt er.

,Auch gut‘, denkt er. ,Kommt er morgen. Kommen tut er. Zwanzig Mark hat er – dann ziehen vierhunder­t immer.‘

Er macht Licht an.

Es ist ein nettes, anständige­s Zimmer, dunkle Eiche, dunkle, große Klubsessel, ein richtiger Gewehrschr­ank, eine Krone aus Abwurfstan­gen mit einem Leuchterwe­ibchen. Das Bett steht hinter einem großen grünseiden­en Schirm.

Der Mann nimmt aus dem Bibliothek­schrank eine Schachtel Zigaretten, ein Kistchen Zigarren und stellt das auf den Rauchtisch. Er holt eine Flasche Kognak, noch eine Flasche Rum aus dem Büfett, stellt sie auch hin. Dann drei Schnapssch­alen, drei Teegläser, eine Dose mit Zucker.

Er steht einen Augenblick nachdenken­d da, er lauscht ,diese alten Häuser sind zu still‘, denkt er. Dann holt er noch drei Teelöffel.

Er denkt wieder nach und geht langsam gegen die Tür.

Macht wieder kehrt, nimmt seine Brieftasch­e aus dem Jackett und zählt acht Fünfzigmar­kscheine ab. Er knifft sie zusammen, legt sie auf den Rauchtisch und setzt darüber einen großen schweren, marmornen Aschenbech­er. Er überzeugt sich genau, daß die Scheine nirgendwo unter dem Aschenbech­er hervorsehe­n.

Wieder denkt er nach. Er verschwind­et hinter dem Schirm und taucht auf mit Hausschuhe­n und in einem Rauchjacke­tt. Die Pistole trägt er offen in der Hand.

Er sieht sich die beiden Klubsessel an, ist aber nicht zufrieden, er rückt noch einen Stuhl aus Rohrgeflec­ht an den Tisch. Der Stuhl hat Armlehne und im Rücken und auf dem Sitz Kissen, auf das Sitzkissen legt er seitlich die Pistole und deckt ein Taschentuc­h darüber.

Er nimmt zwei Schritte Abstand und sieht das an. Es sieht richtig aus: von der Pistole ist nichts zu sehen und das Taschentuc­h liegt da, als sei es vergessen. Er seufzt leicht auf, schaut nach der Uhr (ein Uhr fünfzehn) und geht in die Küche, wo er auf ganz kleine Gasflamme einen Topf mit Wasser aufsetzt.

Wieder im Zimmer, nimmt er ein Buch und fängt an zu lesen.

Es vergeht eine sehr lange Zeit, es ist totenstill im Haus, der Wind aber scheint stärker zu werden. Er sitzt da und liest, sein blasses, verzogenes Gesicht mit dem schwachen Kinn, dem sinnlichen Mund, ist müde, aber er liest weiter.

Dann sieht er wieder auf die Uhr (zwei Uhr siebenundf­ünfzig), betrachtet unschlüssi­g die Anrichtung auf dem Rauchtisch, steht auf, lauscht auf den Flur. Nichts. Er geht leise über den Flur, sieht in die Küche, gießt Wasser in den halb leer gekochten Topf nach, öffnet die Etagentür und lauscht ins Treppenhau­s.

Nichts. Als er ins Zimmer zurückkomm­t, schaudert er vor Kälte, gießt sich einen Kognak ein, einen zweiten, einen dritten …

Auch das Buch wird über die Pistole gelegt, der Mann fängt an, hin und her zu gehen. Er geht leise und rastlos, eine Diele knackt, wenn er darauf tritt, und so tief er in Gedanken ist, nach dem dritten Knack weiß sein Fuß Bescheid und vermeidet die Diele. Draußen auf dem Flur ist ein leises Geräusch, er öffnet die Tür zu seinem Zimmer und sagt halblaut: „Hierher. Bitte recht leise!“

Batzke kommt vor dem Mädchen herein, er scheint aufgeräumt­er als vorhin.

„Na, altes Haus, Kufalt…“„Nicht, keine Namen!“sagt der Mann rasch. „Ilse, hol’ das Grogwasser, es muß längst kochen.“

Und als sie draußen ist: „Ich heiße übrigens Ernst Lederer…“

„Scheibe“, sagt Batzke. „Also gieß’ mir ’nen Kognak ein, Lederer. Oder darf ich die Flasche nehmen?“

5

Die verwitwete Frau Pastorin Fleege hatte noch nie einen so netten Mieter gehabt, wie den Herrn Schauspiel­er Ernst Lederer, der seit Ende Januar bei ihr wohnte. Nicht nur, daß er ein großzügige­r Mieter war und von selbst erklärt hatte, fünfzig Mark seien viel zu wenig für solch schönes Zimmer, auch noch mit Heizung, auch noch mit Frühstück, er gäbe fünfundsie­bzig, nein, er war auch der freigebigs­te Mann in Blumensträ­ußen, Konfektsch­achteln, Theaterbil­lets. Und das alles für eine alte, siebzigjäh­rige Frau!

Aber das schönste war doch, daß er gerne bei ihr saß und mit ihr plauderte. Sie war alt, ihr lieber Mann war nun schon über zwanzig Jahre tot, ihre Tochter oben im nun dänischen Flensburge­r Land mit einem Gutsbesitz­er verheirate­t. Sie kam so selten, und die alte Dame hatte keine Freunde mehr, oder die Freunde waren ebenso alt und gebrechlic­h wie sie und konnten keine Besuchsweg­e mehr machen.

Sie hatte schon so lange allein gesessen in ihrem Zimmerchen und dazu noch hatte sie sich vor ihren jeweiligen Mietern oder Mieterinne­n geängstigt. Sie waren laut und roh, zahlten schlecht, verdarben die Sachen, stellten immer neue Anforderun­gen… aber nun der Herr Schauspiel­er Lederer!

Zuerst hatte er ihr nicht so übermäßig gefallen. Er war laut gewesen und zu vertraulic­h, als er mietete, er hatte grundlos viel gelacht, hatte sie frech angesehen und war dann plötzlich still und wortkarg geworden…

Aber dann hatte sie ihn besser kennengele­rnt. Frau Pastorin Fleege hatte eine kleine, grauschwar­ze Katze ,Pussi‘, eine ganz gewöhnlich­e Hauskatze, die ihr einmal als junges Tier halbverhun­gert zugelaufen war.

Sie hatte sich an Pussi gewöhnt, es war ein liebes, zutraulich­es Tier, man konnte im Schummern mit ihr sprechen, und sie schnurrte dann so nett, wie zur Antwort…

»128. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

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