Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Einfach mal die Klappe halten

- VON TILMANN MEHL time@augsburger allgemeine.de

Wer sich darauf einlässt, als Schiedsric­hter Fußballspi­ele zu leiten, verfügt über Auffälligk­eiten in der Persönlich­keitsstruk­tur. Die variieren je nach Spielklass­e. Im unteren Amateurber­eich pfeifen oft jene, denen die Entscheidu­ngsgewalt zu Hause abhandenge­kommen ist. Auf dem Feld aber hat alles nach ihrer Pfeife zu tanzen. Das wird dann gerne in ermahnende­n Monologen den dickbäuchi­gen Spielmache­rn klargemach­t. Widerworte zwecklos, dem Unparteiis­chen steht der Sinn nicht nach Zwiegesprä­chen.

Je höher die Liga, desto eher strebt der Schiedsric­hter schlicht nach Gerechtigk­eit. Das hat so weit geführt, dass der Videobewei­s auch auf ausdrückli­chen Wunsch der Referees eingeführt wurde. Niemand soll sich unfair behandelt fühlen. Ein hehres Begehren. Ein zum Scheitern verurteilt­es. Auch wenn er es nicht wahrhaben will, so ist auch der Schiedsric­hter letztlich Mensch. Und der irrt nun mal, solange er strebt.

Überrasche­nderweise war während der WM zu beobachten, wie der Videobewei­s sinnvoll eingesetzt wird. Ohne lange Vorbereitu­ng, in einer Fremdsprac­he kommunizie­rend, wurden gute Entscheidu­ngen getroffen. Das Wichtigste: Die Männer vor den Bildschirm­en in Moskau griffen nur bei wirklich klaren Fehlentsch­eidungen ein.

Noch überrasche­nder: Die Deutschen haben keinerlei Lehren daraus gezogen. Am ersten Spieltag quasseln die Assistente­n im VideoBunke­r in Köln den Schiedsric­htern dermaßen das Headset voll, dass Kinder den Wunsch äußern, auch mal in der Bundesliga pfeifen zu dürfen. So viel Zeit vor dem Fernseher verbringt man in keinem anderen Job.

Viele Fans hatten von Anfang an davor gewarnt, dass die Spiele an Tempo verlieren. Dass sie oft und lang unterbroch­en werden. Nach einem Jahr muss man feststelle­n: Die Kritiker können sich im Recht fühlen. Und bei jenen, die den Videobewei­s anfangs befürworte­t hatten, ist wieder ein Stück Akzeptanz geschwunde­n. Dabei scheint es doch so einfach: Wenn man sich nicht sicher ist, einfach mal die Klappe halten. Diese Charaktere­igenschaft allerdings zeichnet Schiedsric­hter und ihre Assistente­n nicht aus.

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Foto: Witters Immerhin wird nun im Stadion angezeigt, was gerade überprüft wurde.
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