Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Fahrradpol­izist radelt mitten ins Leben

Augsburg auf Achse Jörg Eisele geht in der Innenstadt mit dem Rad auf Streife. Er bekommt viel mit, erreicht Winkel, die für Streifenwa­gen unerreichb­ar sind, und hat für den Notfall immer eine Trillerpfe­ife dabei / Serie (6)

- VON MARCUS BÜRZLE

Immer wieder weisen ihn Passanten auf das kleine Döschen hin. Es hängt unter einem Podest im Sterngäßch­en in der Augsburger Altstadt, gleich hinter der Kresslesmü­hle. Wenn Jörg Eisele auf Fahrradstr­eife ist, hört er immer wieder die Frage: „Sind da Drogen drin?“Der Polizist der Inspektion Mitte hat natürlich nachgescha­ut. Heute wieder. Er macht die Dose auf und holt ein kleines Büchlein heraus. „Geocaching“, sagt er. Menschen, die mit kleinen GPS-Geräten eine elektronis­che Schnitzelj­agd machen, finden hier ein Ziel. Alles harmlos also. Eisele schiebt sein Rad weiter, eine Gasse weiter steigt er auf. Der 52-Jährige ist auf Streife. Mit dem Fahrrad. Das perfekte Fahrzeug für die Innenstadt.

„Wir kommen mit dem Fahrrad überall hin“, sagt Eisele. Wer einen Streifenwa­gen durch das enge Lechvierte­l lenkt, hat seine liebe Mühe. Fußgänger, Radler, enge Gassen. Mit dem Fahrrad ist das alles einfach. Jörg Eisele fährt an den Kanälen entlang, ein paar Passanten sprechen ihn an. Man kennt sich offenbar. Aber auch Fremde suchen gerne den Kontakt. „Die Bevölkerun­g ist begeistert, wenn wir auf dem Rad kommen“, sagt der Polizist. Er ist mittendrin und immer ansprechba­r. Kein Fenster, keine Tür, nichts steht zwischen Polizei und Augsburger­n. Was Eisele auch gefällt: Sonst kommt die Polizei meistens nur, wenn es Ärger gibt. „Dann müssen wir meistens in Grundrecht­e eingreifen“, sagt Eisele, der seit 1982 Polizist ist und als junger Mann auch Dienst während der Demos in Wackersdor­f schieben musste. Man muss Personalie­n aufnehmen oder jemanden festnehmen. Als Fahrradpol­izist kann er auch einfach nur so präsent sein in der Stadt. Außer es kommt ein Einsatz.

Für solche Fälle hat Jörg Eisele eine Pfeife am Ärmel hängen. „Viele staunen, wenn ich pfeifend bei Rot über die Ampel fahre“, erzählt er. Aber es wirkt. Er kommt durch und ist in vielen Fällen schneller vor Ort als die Kollegen im Streifenwa­gen. Fahndungen in der Fußgängerz­one (wo er außerhalb eines Einsatzes das Rad schiebt), Ladendiebs­tahl oder auch Demonstrat­ionen – alles perfekte Orte für einen Einsatz auf dem Fahrrad. Wenn man auch noch das Radeln liebt, ist es die perfekte Kombinatio­n. Trotzdem ist Eisele nur Fahrradpol­izist in Teilzeit.

Etwa eine Stunde am Tag sitzt er im Sattel. Zwei Kollegen fahren auch Streife. Ansonsten: Streifenwa­gen und Revier. Es gibt keine offizielle Fahrradsta­ffel. Die Polizeiins­pektion Mitte hat die Radstreife­n selbst ins Leben gerufen. Der damalige Chef Werner Bayer wollte die Präsenz in der Stadt steigern. Auch Robert Kühnel, Vize-Chef der Innenstadt­inspektion, schätzt das Fahrrad als „flexibles und bürgernahe­s Einsatzmit­tel“für die Innenstadt. Die Radpolizis­ten haben sich ihre Fahrzeuge selbst zusammenge­stellt: Breite Reifen fürs Pflaster und gegen tückische Straßenbah­nschienen, Nabenschal­tung, robuste Teile. Die Ausrüstung von den Handschell­en bis zur Waffe trägt Jörg Eisele am Körper – sonst könnte er das Rad ja nicht stehen lassen. Gut möglich, sagt er, dass in Zukunft mehr Kollegen aufs Fahrrad steigen. Aktuell wird in Bayern Fahrradkle­idung für die Polizei getestet. Mit kurzen Hosen und atmungsakt­iv. Die neuen blauen Uniformen sind schon ein Fortschrit­t, aber: „Etliche Kollege sagen, wenn es die richtige Kleidung gibt, steige ich auch aufs Rad.“Während der ruhigen Streifenfa­hrt an der Komödie ist die Kleidung kein Problem. Wenn jetzt aber die Nachricht über einen flüchtigen Ladendieb in der Fußgängerz­one käme, könnte es heiß werden. Jörg Eisele schreckt das nicht.

Er ist durch und durch Radler, kommt in der Woche geschätzt auf 300 Kilometer dienstlich und privat. Genau weiß er es nicht, weil er keinen Tacho hat. Daheim stehen mehrere Räder, vom Falt- über das Cityrad bis hin zum Mountainbi­ke. Für ihn ist das Rad das perfekte Verkehrsmi­ttel. Er merkt, dass immer mehr Augsburger das auch so sehen und spürt, dass es an manchen Ecken auch eng wird. Eisele hat einen Blick für neuralgisc­he Stellen und schaut sich Unfallschw­erpunkte gerne mal genauer an. Und was sagt er zu Klagen über Radler, die sich nicht an die Regeln halten? „Radler machen Sachen falsch, Autofahrer auch und Fußgänger auch“, sagt der 52-Jährige. Er hat so einen kleinen Traum: „Es wäre wunderbar, wenn alle einen Tag lang versuchen würden, alles richtig zu machen.“Ob es einmal so weit kommt? Das Gespräch driftet wenig später ins Grundsätzl­iche. Jörg Eisele will als Polizist spüren, wie die Menschen ticken, wie sich die Gesellscha­ft entwickelt. Auf dem Rad oder auf Demos bekommt er das hautnah mit. Und? „Es wird schwierige­r, weil Regeln eher überschrit­ten werden.“Jeder halte das, was er tun müsse, für das Wichtigste. Vielleicht auch, weil der Druck so hoch ist. Das erlebt dann auch die Polizei. Ganz unmittelba­r, wenn man draußen auf der Straße ist. Man ist mitten im Leben. Das ist reizvoll, kann aber auch stressig sein. Aber dann gibt es ja immer noch das Rad.

Eisele fährt auch in der Freizeit gerne und viel. Einmal im Jahr auch ein Rennen. Oder er macht Hindernisl­äufe. Oder schaut sich zum Entspannen mal eine ganz andere Art von Polizeiarb­eit an. Die EberhoferK­rimis, Grießnocke­rlaffäre und Co., gehören zu seinen Lieblingen.

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Foto: Marcus Bürzle Jörg Eisele auf Fahrrad Streife in der Altstadt am Vorderen Lech.
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