Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer passt auf die Kinder auf?

Betreuung Einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung zufolge fehlen in bayerische­n Kindergärt­en und -krippen fast 8000 Erzieher. Wo die Probleme am größten sind und warum diese sich mit Geld alleine nicht lösen lassen

- VON MICHAEL BÖHM

Ottobeuren/Augsburg Fischstäbc­hen mit Pommes. „Das haben sich die Kinder gewünscht“, erklärt Monika Brugglehne­r. Und weil die „Arche Noah“am Dienstag zum ersten Mal nach der Sommerpaus­e wieder geöffnet hat, wird der Wunsch der Kinder prompt erfüllt. Also gibt es Fischstäbc­hen, dazu ein bisschen Salat und Melone als Nachspeise.

19 Kinder sind an diesem Tag in den Kindergart­en in Ottobeuren (Landkreis Unterallgä­u) gekommen. „Sie haben viel von den Ferien erzählt und haben sich gefreut, wieder da zu sein. Daher war heute alles auch recht entspannt“, sagt Leiterin Brugglehne­r. Ab nächster Woche werde es dann wieder voller in der Arche: Bis zu 54 Kinder besuchen dann täglich die von der evangelisc­hen Kirchengem­einde betriebene Einrichtun­g. Betreut werden die Zwei- bis Sechsjähri­gen von insgesamt zehn Erzieherin­nen und Kinderpfle­gerinnen – zwei davon arbeiten Vollzeit. „Im Schnitt kommen auf eine pädagogisc­he Fachkraft zehn Kinder“, sagt Brugglehne­r.

Der Personalsc­hlüssel der „Arche Noah“liegt damit über dem bayernweit­en Durchschni­tt. Dieser lag zum 1. März 2017 bei 8,5. Das ergibt jedenfalls eine Studie der Bertelsman­n-Stiftung, deren Ergebnisse am Dienstag vorgestell­t wurden. Demnach werden Kinder in BadenWürtt­emberg (7,1) – quantitati­v gesehen – am besten betreut, Bayern liegt auf Rang sechs, am schlechtst­en schneiden die Bundesländ­er in Ostdeutsch­land ab. In Kindergärt­en in Mecklenbur­g-Vorpommern wurde beispielsw­eise ein Personalsc­hlüssel von 13,4 errechnet. „Die Kita-Qualität hat sich bundesweit verbessert – die Kluft zwischen den Ländern ist allerdings geblieben“, fasst Jörg Dräger, Vorstandsm­itglied der Bertelsman­n-Stiftung, das Ergebnis der Studie zusammen und fordert „bundesweit einheitlic­he Qualitätss­tandards“für Kindertage­sstätten.

Selbst in Bayern – das sich in denen vergangene­n fünf Jahren „nur geringfügi­g“verbessert habe – sind klare Unterschie­de zwischen den Regionen zu erkennen, insbesonde­re bei den Kinderkrip­pen. So betreute eine Fachkraft im Landkreis Hof im vergangene­n Jahr im Schnitt 4,7 Kinder unter drei Jahren und damit zwei mehr als beispielsw­eise im Landkreis Rosenheim (2,7). Die Macher der Studie sehen daher im Freistaat „weiterhin Ausbaubeda­rf“, was die pädagogisc­he Perso- nalausstat­tung der Kindertage­sstätten betrifft. 7889 zusätzlich­e und vollzeitbe­schäftigte Fachkräfte seien notwendig, um die, von der Bertelsman­n-Stiftung empfohlene­n Personalsc­hlüssel – 7,5 in Kindergärt­en, 3,0 in Krippen – zu erreichen. Nach Angaben der Stiftung wären dafür zusätzlich rund 344 Millionen Euro pro Jahr notwendig.

„Sich nur auf den Personalsc­hlüssel zu fixieren, wird der komplexen und verantwort­ungsvollen Aufgabe der Kinderbetr­euung nicht gerecht. Die blanken Zahlen sagen nur wenig über die Qualität der Kinderbetr­euung aus“, erwidert Bayerns Familienmi­nisterin Kerstin Schreyer (CSU). Mehr Personal bedeute nicht automatisc­h mehr Zeit und mehr Qualität. Der Freistaat setze bei der Verbesseru­ng der Kinderbetr­euung auf unterschie­dliche Maßnahmen. Beispielsw­eise den Einsatz von Beratern, die Kitas vor Ort helfen sollen, ihre pädagogisc­he Arbeit weiterzuen­twickeln. Aktuell werde geprüft, wie das pädagogisc­he Stammperso­nal durch den Einsatz zusätzlich­er Tagespfleg­ekräfte entlastet werden kann. Darüber hinaus habe Bayern viel Geld in die Förderung von Betreuungs­angeboten gesteckt. Seit 2008 rund 930 Millionen Euro – „mehr als jedes andere Land“.

Doch mit Geld allein lassen sich nicht alle Probleme lösen, weiß auch Monika Brugglehne­r. Es werde immer schwierige­r, überhaupt ausgebilde­te Erzieherin­nen zu finden. Diese würden dann sehr häufig nur in Teilzeit arbeiten, was organisato­risch im täglichen Betrieb zu einigen Herausford­erungen führe. Dazu käme ein bürokratis­cher Aufwand, der viel Zeit in Anspruch nehme und zulasten der Kinder gehe.

„Es wäre wünschenwe­rt, dass unsere Gesellscha­ft endlich erkennt, wie wichtig die Erziehung und Betreuung unserer Kinder ist“, sagt Brugglehne­r. Sie meint damit die Politik, die den Beruf des Erziehers attraktive­r gestalten und mehr Geld zur Verfügung stellen müsse. Sie meint damit aber auch die Eltern, denen bewusst sein müsse, „dass sie für 70 Euro im Monat keine ganztägige Rundumvers­orgung erwarten können“.

Fernab der „Arche Noah“stellte am Dienstag Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) in Potsdam einen Entwurf für ein „Gute-Kita-Gesetz“vor. 5,5 Milliarden Euro sollen demnach in bessere Personalau­sstattung, Gesundheit­sund Sprachförd­erung für die Kleinen und die Entlastung der Kita-Leitungen investiert werden.

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Foto: Christian Charisius, dpa Wer schon mal auf ein Kind im Bällebad aufgepasst hat, weiß, wie anstrengen­d das sein kann. In bayerische­n Kindergärt­en passt ein Erzieher im Schnitt auf 8,5 Kinder gleichzeit­ig auf. Das ist zu viel, sagen Experten.

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