Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Und wer pfeift jetzt?

Fußball Wegen des Personalma­ngels finden Spiele in Augsburger B-Klassen ohne Schiedsric­hter statt. Wie Vereinsver­treter betroffene­r Klubs darüber denken und warum mancher sich ärgert

- VON JOHANNES GRAF UND OLIVER REISER

Landkreis Wenn Denis Sumov an die kommende Spielzeit denkt, fühlt er sich ungerecht behandelt. Sumov leitet die Fußball-Abteilung des FC Hochzoll und muss künftig dafür sorgen, dass sein Verein in der B-Klasse Augsburg Mitte bei Heimspiele­n einen Schiedsric­hter stellt. Der 25-Jährige zieht einen Vergleich: „Bevor ich eine Diskothek betrete, zahle ich Eintritt. Ich muss aber nicht zusätzlich meine Getränke mitbringen.“Sumov meint, sein Verein bezahle dem Bayerische­n Fußballver­band (BFV) über Passanträg­e, Spielerstr­afen und sonstige Gebühren ausreichen­d Geld, entspreche­nd müsse der Verband die Schiedsric­hter stellen.

Ebenso geht es den Vereinen in der B-Klasse Nordwest. „Wir sind ja selber schuld, wenn wir nicht mehr genug Schiedsric­hter stellen“, sagt Jürgen Kamissek, Abteilungs­leiter des CSC Batzenhofe­n-Hirblingen. Er hat allerdings durchaus Verständni­s, dass niemand mehr Spiele pfeifen will. „Man wird ständig angemotzt und verliert schnell die Lust.“Was er nicht verstehe, ist, dass in der Kreisliga an den Schiedsric­hter-Gespannen festgehalt­en wird: „Mit den Assistente­n könnte man doch B-Klassen-Spiele besetzen.“

In der Schiedsric­htergruppe Augsburg hat sich über die Jahre die Personalsi­tuation zugespitzt. Eine Folge dessen: Ab der Saison 2018/19 können Männerspie­le der B-Klassen Augsburg-Mitte und Nordwest nicht mehr mit Unparteiis­chen besetzt werden. Augsburgs Obmann Thomas Färber erklärt: „Wir bedauern sehr, diesen Schritt gehen zu müssen. Aber die Umstände lassen uns keine andere Wahl.“Einerseits wollen immer seltener Schiedsric­hter mehr als eine Partie pro Wochenende pfeifen. Anderersei­ts war die Resonanz auf den Neulingsku­rs im Frühjahr enttäusche­nd: Lediglich 15 Teilnehmer meldeten sich für die Schiedsric­hterausbil­dung an.

Derzeit müssen Vereine und Spielgemei­nschaften pro Großfeldma­nnschaft einen Schiedsric­hter stellen. Gelingt dies nicht, zahlen sie Strafe. In der B-Klasse für eine Saison 57 Euro pro Schiedsric­hter, nach fünf Jahren verdoppelt sich der Betrag auf 114 Euro. Schlimmste­nfalls drohen nach mehrmalige­n Verstößen Punktabzüg­e.

Schiedsric­hter abzuwerben erscheint billiger. Vereine bemühen sich inzwischen, mit Ausrüstung und Beitragsfr­eiheit Unparteiis­che zu ködern. In Insiderkre­isen spricht man vom Schiedsric­hter-Tourismus.

Der SV Bonstetten hat Glück. Er spielt in der A-Klasse West, deren Spiele mit Schiedsric­htern besetzt werden, weil von den Vereinen die- ser Liga auch viele Unparteiis­che kommen. In Bonstetten sind es Erich und Wolfgang Bschorr, die für den SV zur Pfeife greifen. „Ich finde es schade, dass es so weit gekommen ist, und bin gespannt, wie das weitergeht“, sagt Bonstetten­s Abteilungs­leiter Karl Haslinger.

Reinhard Geiger glaubt, prinzipiel­l bringe das Strafsyste­m wenig. „Entweder jemand will oder er will nicht“, sagt Geiger. Seit zehn Jahren ist er als Abteilungs­leiter des Polizeispo­rtvereins Augsburg (PSV) tätig. Um den Schiedsric­hter-Engpass innerhalb des Klubs auszugleic­hen, wirbt er Jugendspie­ler an, die Fußball leidenscha­ftlich betreiben, sportlich aber nicht die erste Geige spielen. Dreimal hatte Geiger damit zuletzt Erfolg.

Artur Weidenbach­er, Fußballche­f der DJK West, hätte sich schon vor Jahren zusätzlich­e Anreize für das Schiedsric­hterwesen gewünscht. Er bringt ein Prämiensys­tem ins Gespräch. Vereine, die mehr als die vorgeschri­ebenen Schiedsric­hter stellen, sollten einen Ausgleich erhalten. „Wir kämpfen alle mit dem Geld, ein Belohnungs­system wäre eine Möglichkei­t“, sagt Weidenbach­er.

Christian Wegmann, der Spartenche­f des SV Bergheim, sieht einen Interessen­skonflikt, das pfeifende Vereinsmit­glied könne es schlussend­lich niemandem recht machen. „Pfeift er überkorrek­t zugunsten der Gastmannsc­haft, bekommt er Ärger mit den eigenen Leuten. Pfeift er mit Vereinsbri­lle, kritisiert ihn der Gastverein“, begründet Wegmann. Der 52-Jährige glaubt, grundsätzl­ich seien Begegnunge­n ohne Verbandssc­hiedsricht­er möglich. Skeptische­r zeigt er sich, wenn entscheide­nde Spiele anstehen. Wenn über den Aufstieg entschiede­n wird und der Fair-Play-Gedanke in den Hintergrun­d rückt.

Beim CSC Batzenhofe­n-Hirblingen hat man bisher gute Erfahrunge­n gemacht, wie ein Spiel ohne neutrale Leitung aussehen kann. „Bei uns pfeift mit Stefan Reißner, einem ehemaligen Spieler und Trainer, immer der Gleiche“, sagt Jürgen Kamissek. Auch Hochzoll-Abteilungs­leiter Sumov erklärt, es habe nicht schlecht funktionie­rt. „Wir hatten noch nie den Fall, dass es eskaliert ist“, sagt der 25-Jährige.

PSV-Funktionär Geiger steht dem Feldversuc­h offen gegenüber. „Ich glaube, es wird besser laufen als alle glauben“, sagt er. Beispiele in der Vergangenh­eit hätten gezeigt, dass sich die Spieler „am Riemen gerissen“hätten, berichtet Geiger und betont: „Ich setzte auf die Selbstkont­rolle und die Intelligen­z der Spieler.“Der 67-Jährige hofft, Freizeitki­cker erkennen, dass sie nicht in der Bundesliga spielen, sondern in der B-Klasse. Und dass in ihrer Spielklass­e keine Profischie­dsrichter am Werk sind. »Kommentar

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Foto: Ralf Lienert Im Fußball ein wichtiges Instrument: der Schiedsric­hter (im Bild Bayernliga Schiedsric­hter Steffen Grimmeißen). B Klassen in Augsburg müssen künftig ohne Unparteiis­chen auskommen.

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