Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Und wer pfeift jetzt?
Fußball Wegen des Personalmangels finden Spiele in Augsburger B-Klassen ohne Schiedsrichter statt. Wie Vereinsvertreter betroffener Klubs darüber denken und warum mancher sich ärgert
Landkreis Wenn Denis Sumov an die kommende Spielzeit denkt, fühlt er sich ungerecht behandelt. Sumov leitet die Fußball-Abteilung des FC Hochzoll und muss künftig dafür sorgen, dass sein Verein in der B-Klasse Augsburg Mitte bei Heimspielen einen Schiedsrichter stellt. Der 25-Jährige zieht einen Vergleich: „Bevor ich eine Diskothek betrete, zahle ich Eintritt. Ich muss aber nicht zusätzlich meine Getränke mitbringen.“Sumov meint, sein Verein bezahle dem Bayerischen Fußballverband (BFV) über Passanträge, Spielerstrafen und sonstige Gebühren ausreichend Geld, entsprechend müsse der Verband die Schiedsrichter stellen.
Ebenso geht es den Vereinen in der B-Klasse Nordwest. „Wir sind ja selber schuld, wenn wir nicht mehr genug Schiedsrichter stellen“, sagt Jürgen Kamissek, Abteilungsleiter des CSC Batzenhofen-Hirblingen. Er hat allerdings durchaus Verständnis, dass niemand mehr Spiele pfeifen will. „Man wird ständig angemotzt und verliert schnell die Lust.“Was er nicht verstehe, ist, dass in der Kreisliga an den Schiedsrichter-Gespannen festgehalten wird: „Mit den Assistenten könnte man doch B-Klassen-Spiele besetzen.“
In der Schiedsrichtergruppe Augsburg hat sich über die Jahre die Personalsituation zugespitzt. Eine Folge dessen: Ab der Saison 2018/19 können Männerspiele der B-Klassen Augsburg-Mitte und Nordwest nicht mehr mit Unparteiischen besetzt werden. Augsburgs Obmann Thomas Färber erklärt: „Wir bedauern sehr, diesen Schritt gehen zu müssen. Aber die Umstände lassen uns keine andere Wahl.“Einerseits wollen immer seltener Schiedsrichter mehr als eine Partie pro Wochenende pfeifen. Andererseits war die Resonanz auf den Neulingskurs im Frühjahr enttäuschend: Lediglich 15 Teilnehmer meldeten sich für die Schiedsrichterausbildung an.
Derzeit müssen Vereine und Spielgemeinschaften pro Großfeldmannschaft einen Schiedsrichter stellen. Gelingt dies nicht, zahlen sie Strafe. In der B-Klasse für eine Saison 57 Euro pro Schiedsrichter, nach fünf Jahren verdoppelt sich der Betrag auf 114 Euro. Schlimmstenfalls drohen nach mehrmaligen Verstößen Punktabzüge.
Schiedsrichter abzuwerben erscheint billiger. Vereine bemühen sich inzwischen, mit Ausrüstung und Beitragsfreiheit Unparteiische zu ködern. In Insiderkreisen spricht man vom Schiedsrichter-Tourismus.
Der SV Bonstetten hat Glück. Er spielt in der A-Klasse West, deren Spiele mit Schiedsrichtern besetzt werden, weil von den Vereinen die- ser Liga auch viele Unparteiische kommen. In Bonstetten sind es Erich und Wolfgang Bschorr, die für den SV zur Pfeife greifen. „Ich finde es schade, dass es so weit gekommen ist, und bin gespannt, wie das weitergeht“, sagt Bonstettens Abteilungsleiter Karl Haslinger.
Reinhard Geiger glaubt, prinzipiell bringe das Strafsystem wenig. „Entweder jemand will oder er will nicht“, sagt Geiger. Seit zehn Jahren ist er als Abteilungsleiter des Polizeisportvereins Augsburg (PSV) tätig. Um den Schiedsrichter-Engpass innerhalb des Klubs auszugleichen, wirbt er Jugendspieler an, die Fußball leidenschaftlich betreiben, sportlich aber nicht die erste Geige spielen. Dreimal hatte Geiger damit zuletzt Erfolg.
Artur Weidenbacher, Fußballchef der DJK West, hätte sich schon vor Jahren zusätzliche Anreize für das Schiedsrichterwesen gewünscht. Er bringt ein Prämiensystem ins Gespräch. Vereine, die mehr als die vorgeschriebenen Schiedsrichter stellen, sollten einen Ausgleich erhalten. „Wir kämpfen alle mit dem Geld, ein Belohnungssystem wäre eine Möglichkeit“, sagt Weidenbacher.
Christian Wegmann, der Spartenchef des SV Bergheim, sieht einen Interessenskonflikt, das pfeifende Vereinsmitglied könne es schlussendlich niemandem recht machen. „Pfeift er überkorrekt zugunsten der Gastmannschaft, bekommt er Ärger mit den eigenen Leuten. Pfeift er mit Vereinsbrille, kritisiert ihn der Gastverein“, begründet Wegmann. Der 52-Jährige glaubt, grundsätzlich seien Begegnungen ohne Verbandsschiedsrichter möglich. Skeptischer zeigt er sich, wenn entscheidende Spiele anstehen. Wenn über den Aufstieg entschieden wird und der Fair-Play-Gedanke in den Hintergrund rückt.
Beim CSC Batzenhofen-Hirblingen hat man bisher gute Erfahrungen gemacht, wie ein Spiel ohne neutrale Leitung aussehen kann. „Bei uns pfeift mit Stefan Reißner, einem ehemaligen Spieler und Trainer, immer der Gleiche“, sagt Jürgen Kamissek. Auch Hochzoll-Abteilungsleiter Sumov erklärt, es habe nicht schlecht funktioniert. „Wir hatten noch nie den Fall, dass es eskaliert ist“, sagt der 25-Jährige.
PSV-Funktionär Geiger steht dem Feldversuch offen gegenüber. „Ich glaube, es wird besser laufen als alle glauben“, sagt er. Beispiele in der Vergangenheit hätten gezeigt, dass sich die Spieler „am Riemen gerissen“hätten, berichtet Geiger und betont: „Ich setzte auf die Selbstkontrolle und die Intelligenz der Spieler.“Der 67-Jährige hofft, Freizeitkicker erkennen, dass sie nicht in der Bundesliga spielen, sondern in der B-Klasse. Und dass in ihrer Spielklasse keine Profischiedsrichter am Werk sind. »Kommentar