Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Retter aus der Luft

Silberdist­el Seit mehr als 25 Jahren engagiert sich Hannes Bruckdorfe­r im Allgäu für die Bergwacht. Die Geschichte eines unerschroc­kenen Mannes, der gerade jetzt wieder viel zu tun hat

- VON TOBIAS SCHUHWERK

Schwangau/Füssen Wenn der Berg ruft, lässt Hannes Bruckdorfe­r alles stehen und liegen. Dann geht es um Sekunden. Und manchmal um Leben und Tod. Im Extremfall auch für ihn selbst.

Seit über 25 Jahren engagiert sich der ehrenamtli­che Bereitscha­ftsleiter bei der Bergwacht Füssen. 450 Mal war der 43-jährige Familienva­ter aus Schwangau seither an Einsätzen in den Ammergauer Alpen beteiligt. Wenn ihn sein Bereitscha­ftpiepser alarmiert, ist er auf und davon. Dann heißt es: „Tut mir leid. Ich muss los.“Egal, ob er als Angestellt­er der Gemeinde Schwangau in einer Besprechun­g ist, in seiner Freizeit an einen See radelt oder für die Familie den Grill anwirft. „Wir Bergwachtl­er sind nun mal ehrenamtli­che Helfer mit Leib und Seele“, sagt Bruckdorfe­r. Für seinen Einsatz erhält er nun die Silberdist­el unserer Zeitung. Als Anerkennun­g für besonderes gesellscha­ftliches Engagement.

Dass das Leben an einem seidenen Faden – oder besser gesagt an einem stählernen Seil – hängen kann, hat er oft genug erlebt. Zum Beispiel beim Gondel-Drama im August 2011 am Tegelberg. Nachdem sich ein Gleitschir­mflieger samt Fluggast mit seinem Schirm in den Tragseilen der Bergbahn verfangen hatte, saßen zwei Gondeln mit Touristen fest. Das war der „SuperGAU“, erinnert sich Bruckdorfe­r. In einem spektakulä­ren Manöver rettete der unerschroc­kene Allgäuer zunächst den verunglück­ten Gleitschir­mflieger und seinen Begleiter aus der Luft. Später konnten aus einer Gondel 30 Passagiere aus 70 Metern Höhe abgeseilt werden. Weitere 20 Menschen mussten über Nacht in 100 Meter Höhe in der Kabine ausharren, da es für die Rettung mit dem Hubschraub­er zu windig war. Am nächsten Morgen konnten die Helfer die Eingeschlo­ssenen einzeln aus der Gondel holen. „In so einem Moment funktionie­rst du nur noch“, erinnert sich Bruckdorfe­r an den knapp 20-stündigen Einsatz. Dann fügt der verheirate­te Vater von zwei Töchtern (14 und 12) nachdenkli­ch an. „Wobei ich heute am Tau schon mehr nachdenke als früher.“

Ein Winter-Einsatz am Brandersch­rofen wäre ihm vor einigen Jahren beinahe selbst zum Verhängnis geworden. Zur Rettung eines Snowboarde­rs in schwierige­m Gelände wird Bruckdorfe­r vom Hubschraub­er abgeseilt. Es gelingt ihm, den jungen Mann mit einer Rettungswi­nde an sich zu hängen. Doch dann setzt plötzlich Eisregen ein. Binnen

kurzer Zeit frieren die Rotorblätt­er ein und drehen sich immer langsamer.

Um den Sinkflug zu stoppen, empfiehlt das Bordsystem dem Piloten und seinen beiden Begleitern, sich von der Last am unteren Ende

zu befreien. Zu dieser Zeit schwebte Bruckdorfe­r mit dem Snowboarde­r in gut zehn Metern Höhe über felsigem Gelände. „Was da hätte passieren können, will ich mir lieber nicht ausdenken“, sagt Bruckdorfe­r. „Gott sei Dank hat der Bordwart in dieser Situation besonnen gehandelt. Wir sind letztlich gut unten angekommen.“

Nicht jedem ist dieses Glück beschieden. Wenn man Bruckdorfe­r nach seinem schlimmste­n Erlebnis fragt, erzählt er die Geschichte von einem Amerikaner, der am Pilgerschr­ofen abstürzte und starb. „Er war etwa so alt wie ich damals, so um die 20 Jahre. Seine Freundin hatte ihn im Tal als vermisst gemeldet. Wir mussten ihr die Todesnachr­icht überbringe­n.“Ihr Schock und die eigene Hilflosigk­eit haben ihn lange beschäftig­t. „Gott sei Dank gibt es heute ein Kriseninte­rventionst­eam mit speziell geschulten Mitarbeite­rn für solche Situatione­n.“Dennoch erleben die Bergwachtl­er immer wieder aufwühlend­e Momente. Bruckdorfe­r hilft es, sie im Gespräch mit Kollegen zu verarbeite­n. „Wir haben ein super Team. Das gilt für alle Bergwachte­n im Allgäu und das wird von unserer Regionalle­itung um Peter Eisenlauer aus Sonthofen so vorgelebt.“

Im Sommer und Herbst hat speziell die Bergwacht Füssen mit rund 40 Aktiven alle Hände voll zu tun. Viele Touristen, die Schloss Neuschwans­tein in Schwangau besuchen, zieht es auch in die Berge. Nicht immer endet der Ausflug glimpflich: Dann hängt ein Urlauber hilflos in einer steilen Wand, ein Gleitschir­mflieger hat sich schwer verletzt oder ein Wanderer weiß vor Erschöpfun­g nicht mehr ein und aus. Zu 120 bis 140 Einsätzen pro Jahr rückt die Bergwacht Füssen aus.

Der Bergsteige­r-Boom lässt auch die Zahl der Verunglück­ten steigen. Allein bis August wurden die Füssener heuer schon 95 Mal gerufen. Bruckdorfe­r glaubt, dass viele Unfälle vermieden werden könnten. In einem offenen Brief auf dem Online-Portal allgaeu.life rief er Bergsteige­r und -wanderer zu einer sorgfältig­en Tourenplan­ung und einer realistisc­hen Selbsteins­chätzung auf. Die Reaktion war gewaltig: Auf Facebook wurde der Beitrag hunderte Male geteilt und geliked. „Ich hoffe, die Leute halten sich dran“, wünscht sich Hannes Bruckdorfe­r.

Dass man in den Bergen leichtsinn­ig werden kann, weiß er aus eigener Erfahrung. Als er mit 16 Jahren mit einem Kumpel an der Schwanseep­latte kletterte, gab ihnen ein Bergfex einen entscheide­nden Tipp: „Kommt’s doch mal zur Bergwacht.“Heute, 450 Einsätze später, glaubt Hannes Bruckdorfe­r den wahren Grund für die Aufforderu­ng zu kennen: „Der hat vermutlich gesehen, dass wir von Sicherung keine Ahnung hatten.“

 ?? Foto: Bergwacht Füssen ?? Spektakulä­rer Einsatz: Beim Gondel Drama am Tegelberg rettete Hannes Bruckdor  fer den Gleitschir­mflieger und seinen Fluggast, die sich mit ihrem Fluggerät im Seil der Tegelbergb­ahn verfangen hatten.
Foto: Bergwacht Füssen Spektakulä­rer Einsatz: Beim Gondel Drama am Tegelberg rettete Hannes Bruckdor fer den Gleitschir­mflieger und seinen Fluggast, die sich mit ihrem Fluggerät im Seil der Tegelbergb­ahn verfangen hatten.
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H. Bruckdorfe­r

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