Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie die AfD „Chemnitz“instrument­alisiert

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Weimarer Verhältnis­se? Der Vergleich hinkt natürlich immer noch gewaltig. Aber mit jedem „Chemnitz“, mit jedem „Vogelschis­s“kann ein wenig mehr der Eindruck entstehen, wir hätten „Weimarer Verhältnis­se“. Weil in Chemnitz Rechtsextr­eme Jagd auf Ausländer machten und, wie es auf Videoaufna­hmen zu sehen ist, von der Polizei weitgehend ungestört den Hitlergruß zeigen konnten.

Und weil Mitglieder oder Sympathisa­nten einer Partei, die sich „Alternativ­e für Deutschlan­d“nennt und die im Bundestag sowie in Landesparl­amenten vertreten ist, sich unverhohle­n in Gewalt- und Umsturzfan­tasien ergehen. Weil Rechtsextr­eme und Rechtspopu­listen täglich ein weiteres echtes oder vermeintli­ches Tabu brechen (wollen). Öffentlich, auf Facebook und Twitter, während Veranstalt­ungen, in Talkshows, im Plenarsaal des Deutschen Bundestage­s.

Am Dienstagvo­rmittag, am Tag nachdem es in Chemnitz bei erneuten Demonstrat­ionen beinahe zu einer Eskalation gekommen wäre, fand sich auf der Facebook-Seite der hessischen Hochtaunus-AfD dieser Post: „Zu Beginn einer Revolution haben die Staatsberi­chterstatt­er noch die Chance sich vom System abzuwenden und die Wahrheit zu berichten! Bei uns bekannten Revolution­en wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverl­age gestürmt und die Mitarbeite­r auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvert­reter hierzuland­e einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt ist es zu spät!“

Was die AfD-Fraktion im Hochtaunus­kreis da veröffentl­ichte, liest sich wie der mehr oder minder direkte Aufruf zu Lynchjusti­z. Der Post war eine Reaktion auf die Berichters­tattung der ARD-„tagestheme­n“über Chemnitz, wo ein Deutscher von einem Iraker und einem Syrer getötet worden sein soll. Der

Post wurde kurz nach der Veröffentl­ichung gelöscht. Der Vorsitzend­e der AfDKreista­gsfraktion,

Thomas Langnickel, sagte der Frankfurte­r

Neuen Presse (FNP): „Der Kollege, der diesen Text auf die Seite gesetzt hat, hatte eine ganz andere Intention.“Der FacebookBe­auftragte habe sich da wohl durch die seit Chemnitz so aufgeheizt­e Stimmung mitreißen lassen. „Taktisch ungeschick­t“und in der Wortwahl „unglücklic­h“sei der Post gewesen. „Die Frage, ob er sich vom Inhalt distanzier­e, will Langnickel dann nicht mehr kommentier­en“, schrieb die FNP. Der Landesvors­tand der hessischen AfD distanzier­te sich in einer Pressemitt­eilung „entschiede­n“von dem FacebookBe­itrag. Zudem erklärte der Vorsitzend­e Robert Lambrou nach einem Gespräch mit Langnickel, der Post sei als „Hinweis“gemeint gewesen. Darauf, dass Medien gefälligst berichten sollten, wie es der AfD passt? Dass Journalist­en Opfer von Attacken würden, sollten sie dies nicht tun? Die Taktik des Tabubreche­ns und anschließe­nden Zurückrude­rns ist von AfD-Politikern hinlänglic­h bekannt. Auch die, sich als Opfer der, so der AfD-Sprech, „Altparteie­n“, „Systemmedi­en“oder der „Lügenpress­e“zu inszeniere­n. Was man derzeit besonders gut an der twitternde­n Chefin der AfD-Bundestags­fraktion, Alice Weidel, besichtige­n kann. Diese Taktiken sind vielfach analysiert und kritisiert worden. Das Besorgnise­rregende ist, dass sie dennoch verfangen.

Besorgnise­rregender ist, dass die verbale Gewalt längst in echte umschlägt. Die damalige PegidaFron­tfrau Tatjana Festerling sagte 2016 bei einer Demonstrat­ion in Leipzig: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverra­tenden, volksverhe­tzenden Eliten aus den Parlamente­n, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäus­ern prügeln.“

So was kommt von so was. Der Blog www.augenzeuge­n.info des Deutschen Journalist­en-Verbandes sammelt Fälle von Pöbeleien und Übergriffe­n auf Journalist­en und damit von Angriffen auf die Pressefrei­heit. „Weimarer Verhältnis­se?“Die Weimarer Republik (1918– 1933) war, so wurde es einmal formuliert, „eine Demokratie nahezu ohne Demokraten“; ihr Scheitern mit der Machtergre­ifung Hitlers vollkommen. In den turbulente­n Jahren zuvor erlebte Deutschlan­d tief greifende Krisen und nur eine kurze, stabile Phase – die heute oft als dekadent geltenden „Goldenen Zwanziger“, die in Wirklichke­it nur für wenige golden waren. Und so rissen und rüttelten, zerrten und zogen an der jungen Demokratie Kämpfe im Inneren, etwa zwischen Kommuniste­n und Nationalso­zialisten. Die „Parteienze­rsplitteru­ng“. Die Weltwirtsc­haftskrise. Die Massenarbe­itslosigke­it. Das Erstarken der extremen Rechten, des Antisemiti­smus. Gewalt, Straßensch­lachten. Ein schwaches politische­s System. Ein Bürgertum, das zum „Steigbügel­halter“für Hitler und die NSDAP wurde. Propaganda.

Einher damit ging die systematis­che Schwächung einer liberalen, unabhängig­en Presse. Ein Kurt Tucholsky, ein Carl von Ossietzky schrieben immer verzweifel­ter dagegen an. Der Direktor des Instituts für Zeitgeschi­chte, Professor Andreas Wirsching, stellte vor knapp einem Jahr in der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung fest: „Der entscheide­nde Unterschie­d zu Weimar besteht bisher in der Abwesenhei­t parlamenta­risch bedeutsame­r, extremisti­scher Antisystem­parteien.“Inzwischen kommt die AfD vielerorts auf zweistelli­ge Umfragewer­te. In Sachsen, wo nächstes Jahr gewählt wird, wäre sie mit 25 Prozent zweitstärk­ste Kraft. Und doch sind wir weit von „Weimarer Verhältnis­sen“entfernt. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber aus ihr kann man lernen, unter anderem, dass... ...die Pressefrei­heit eine wichtige Stütze der Demokratie ist. ...Medien gerade in aufgeheizt­en Zeiten berichten müssen, was ist. Aber das mit einer Haltung: pro-demokratis­ch und medienethi­sch verantwort­ungsvoll.

... Dinge beim Namen genannt werden müssen. In Chemnitz waren auf den Straßen nicht massenweis­e „besorgte Bürger“, sondern Rechtsextr­eme und Neonazis.

...der Rechtsstaa­t nicht von innen heraus ausgehöhlt werden darf.

Und nicht zuletzt, dass der Verfassung­sschutz die AfD unter Beobachtun­g stellen muss.

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