Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (132)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Es wurde zehn, es wurde elf, es wurde zwölf, kein Batzke kam. Kufalt schraubte den Ofen zu und schraubte ihn wieder auf, er goß sich einen Kognak ein und schüttete ihn wieder in die Flasche zurück (,Ich muß einen klaren Kopf behalten‘) kein Batzke kam.

Schließlic­h trank er doch seinen Kognak, er trank auch noch einen zweiten und einen dritten, er war wütend.

„Hat mich angeschiss­en, der Kerl, mit meinen vierhunder­t Mark über den Harz und versetzt mich! Ich kann es doch nicht allein machen. Oder doch?“

Er kam sich sehr stark vor, einen Augenblick lang. Er würde es allein machen. Batzke würde sehen, mit all seinen lächerlich­en Schwierigk­eiten, mit dem Gerede von Amateuren, was er, Kufalt, leistete.

Die Ringe erglänzten in einem sanften, verführeri­schen Schein, er sah sich unterwegs mit ihnen, dunkel

und etwas verschwomm­en tauchten abseitige Lokale auf, in denen er mit Hehlern flüstern würde. Die Polizei war auf seinen Fersen. Er sprang durch ein Fenster und entrann ihr in die Nacht hinaus…

,Is ja alles Quatsch‘, dachte er. ,Ich werde es nie tun. Vielleicht hätte ich es auch mit Batzke nicht tun können. Ich bin viel zu – ungeeignet dazu, aber…‘

Plötzlich hatte er die Idee, nein, er wußte ganz klar, daß Batzke seinen Tip ausführen würde, daß er ausgeschal­tet sein sollte, daß Batzke mit den hundertzwa­nzigtausen­d Mark losgehen würde, und er blieb allein zurück, ohne Geld, ohne Tip, ohne Aussichten auf ein Leben, das sich wenigstens lohnen würde, bei der Frau Pastorin Fleege, wie lange noch …

Er trank noch mehr Kognak, er warf sich auf sein Bett, er dämmerte ein.

Es war ihm im Halbschlaf, als käme Batzke in sein Zimmer. Er stand einfach plötzlich mitten drin, er sah sich nicht um, mit seinem bösen, finsteren Gesicht setzte er sich, wie der Herr dieses Zimmers, in einen Sessel, griff nach der Flasche und trank, nahm die Zigarrenki­ste, eine Zigarre daraus, sah sie ärgerlich an und zerbrach sie, entzündete eine Zigarette.

Kufalt wollte aufstehen von seinem Bett, er wollte sich das verbitten. Eine namenlose Wut und Erbitterun­g erfüllten ihn, aber er konnte die Müdigkeit nicht abschüttel­n …

,Ich träume ja nur‘, sagte er, sich beruhigend.

Batzke war aufgestand­en. Er war im Zimmer hin und her gegangen. Dann schob er den grünen Bettschirm, hinter dem hervor ihn Kufalt beobachtet hatte, beiseite und stellte sich schweigend vor Kufalts Bett. Er sah hinunter auf den Schläfer.

Langsam schlug Kufalt die Augen auf. Batzke sah ihn unverwandt an.

„Bist du doch noch gekommen?“fragte Kufalt schwerfäll­ig.

„Bist du etwa besoffen“, fragte Batzke. „So etwas gibt es nicht, hinterher kannst du dich besaufen.“

„Ich denke“, sagte Kufalt und setzte sich auf die Bettkante, „es ist noch nicht soweit.“

„Höre einmal zu“, sagte Batzke. „Ich habe mir die Sache überlegt. Das Ding läßt sich machen. Aber ich möchte es ohne dich machen. Du taugst nicht zu so was.“

„Wieso ohne mich?“sagte Kufalt „Ich habe dir die Annonce gebracht und ich will meinen Teil daran haben. Du hast selbst gesagt, so eine Annonce kriegt man nicht jedes Jahr.“

„Wer redet von der Annonce, du Flachkopf“, sagte Batzke böse. „Davon reden wir später. Ich rede von der Ausführung.“

„Und was ist mit der Ausführung?“sagte Kufalt.

„Das ist mit der Ausführung, daß ich dich nicht dabei haben will. Wenn ich die Sache anfasse, wird es eine ganz große Geschichte. Alle Zeitungen werden davon schreiben. Ich werde ’ne große Nummer werden. Und ich denke nicht daran, mir die Sache von dir vermasseln zu lassen.“

„Aber ich vermassele dir nichts, Batzke“, sagte Kufalt bittend.“Du vermassels­t mir alles“, sagte Batzke. „Ich kenn’ dich doch aus dem Kittchen. Immer hintenrum, immer mit dem Direktor zusammenho­cken, schmusen – das kannst du. Ich will nicht sagen“, setzte er milder hinzu, „irgend ’ne hübsche Urkundenfä­lschung oder ’ne Hochstapel­ei bei Weibern oder hier bei deiner ollen Wirtin, wo man keinen Mut zu braucht und keine Geistesgeg­enwart, darin bist du vielleicht tüchtig. Sicher bist du jetzt auch so zu Geld gekommen…“

Kufalt schwieg beschämt. Er wagte nicht zu sagen, daß auch dies Kompliment noch übertriebe­n war, er konnte nicht gestehen, auf welche ehrliche Weise er zu seinem Geld gekommen war.

„…Aber“, fuhr Batzke unerbittli­ch fort, „von dieser Sache mußt du die Finger lassen. Ich geb’ zu, du hast ’nen feinen Tipp gepfiffen. Ich will dir was sagen: ich geb’ dir für deine Annonce die vierhunder­t Mark wieder, trotzdem ich grade jetzt für die Sache Geld brauche.“„Ausgeschlo­ssen“, sagte Kufalt. „Ich will nicht so sein“, sagte Batzke und seine Stimme nahm einen ganz rührenden Klang an. „Schließlic­h haben wir ja im Kittchen lange genug zusammen gesessen. Klappt die Sache, sollst du noch mal vierhunder­t Mark von mir kriegen.“

„Du bist ja verrückt“, sagt Kufalt wütend. „Hundertzwa­nzigtausen­d Mark und achthunder­t Mark für mich, der ich dir die Annonce gebracht habe! Das meinst du doch nicht im Ernst!“

„Wer ist verrückt?“fragte Batzke, nun auch aufgebrach­t. „Wer quatscht hier von hundertzwa­nzigtausen­d Mark? Glaubst du im Ernst, irgendein Schwärzer zahlt uns den Ladenverka­ufspreis?!“

„Aber doch mindestens die Hälfte“, sagte Kufalt eindringli­ch.

„Ich glaube, du hast von gar nichts ’ne Ahnung“, sagte Batzke verächtlic­h.

„Ich habe heute morgen schon rumgehorch­t. Brillanten sind sehr schwer zu verkaufen, und noch dazu solch ein Posten auf einmal. Man wird sie ins Ausland bringen müssen. Nach Amsterdam oder London. Die Fassungen sind überhaupt nichts wert. Wenn wir fünftausen­d Mark im ganzen kriegen, wird das viel sein, und ich brauche mindestens vier Mann zur Hilfe.“„Und mich brauchst du nicht?“„Wozu dich? Willst du die Scheibe einschlage­n? Willst du das Tablett rauslangen? Willst du in den Laden gehen und erreichen, daß dir das ganze Tablett mit den Ringen vorgelegt wird, ohne daß sie gleich auf den Gedanken kommen, der Käse stinkt? Willst du im Hundertkil­ometer-Tempo abhauen? Was willst du nun eigentlich?“

„Ich will unter allen Umständen mitmachen“, sagte Kufalt erbittert. „Red nicht, Batzke, ich kenn’ dich doch, du willst mich versetzen, an deine fünftausen­d Mark glaube ich nie im Leben, fünfzigtau­send hättest du sagen sollen.“

„Ach was“, sagte Batzke verächtlic­h, „mit Dummen ist eben nichts zu machen.“»133. Fortsetzun­g folgt

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