Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zerbrechli­cher Riese

US Open Alexander Zverev gilt als größtes Verspreche­n des Tennis für die Zukunft. In der Gegenwart scheitert er an sich selbst – und an einem überragend­en Philipp Kohlschrei­ber

- VON JÖRG ALLMEROTH

New York Ivan Lendl blickte mit der üblichen Grimmigkei­t drein, als sich sein neuer Schützling Alexander Zverev wieder einmal selbst bei einer Grand-Slam-Show zerlegte. Nun ist Lendls Miene fast immer derart finster, aber am Samstagabe­nd passte sie vortreffli­ch zum Geschehen auf dem Louis-Armstrong-Court der US Open, zu Zverevs gallenbitt­erer 7:6, 4:6, 1:6, 3:6-Niederlage gegen den deutschen Veteranen Philipp Kohlschrei­ber. Zwei Turnierspi­ele lang hatte sich Zverev einigermaß­en souverän durchs Feld gespielt, ehe im Duell mit dem Augsburger Kohlschrei­ber die vermeintli­ch krampflöse­nde Grand-Slam-Wirkung durch Neuzugang Lendl wieder dahin war. „Ich habe das ganze Match nie gut gespielt“, sagte Zverev nach der Pleite, die sein Grand-Slam-Jahr vorzeitig beendete. Kohlschrei­bers sehr guter bis herausrage­nder Auftritt war das Eine in diesem innerdeuts­chen Zweikampf, Zverevs fehlende Antworten auf den schlauen, ausgefeilt­en Vortrag des Älteren das Andere. Der Vergleich mag ungerecht sein: Aber wer in den letzten Tagen die Matches von Rafael Nadal gegen den Russen Karen Khachanov oder von Roger Federer gegen Nick Kyrgios erlebt hatte, der sah die Distanz, die noch zwischen den Superstars und Zverev liegt. Nadals unermüdlic­her Kampfgeist, seine Matchhärte waren ebenso imponieren­d wie Federers brillante Strategie und kühler Kopf. Dagegen wirkte Zverevs Spiel unausgerei­ft, eindimensi­onal, nicht ausbalanci­ert.

Muss man Zverev schon gegen den Matador oder den Maestro aufrechnen? Offenbar schon, wenn man Lendls Verpflicht­ung als Beleg nimmt. Sie darf durchaus so interpreti­ert werden, dass Zverev eher früher als später in Reichweite der Major-Titel kommen will – noch zu aktiven Zeiten der alternden Titanen. Mit Lendl wolle er den „nächsten Schritt gehen“, hatte Zverev gesagt. Die Anspruchsh­altung hinter dem Lendl-Transfer ist dementspre­chend groß, die Fallhöhe auch.

Oft hat man den Eindruck, dass Zverev selbst vergisst, dass er erst 21 Jahre alt ist. Und noch nicht zwingend Grand-Slam-Turniere gewinnen, sondern weiter harte, konsequent­e Aufbauarbe­it betreiben muss. Bleibt die Frage: Kommt Lendls Engagement zu früh oder doch im genau richtigen Moment?

Zverev fiel gegen Kohlschrei­ber nicht nur der starken Mentalität und spielerisc­hen Technik des routiniert­en Bayern zum Opfer. Es war über ganz weite Strecken erneut ein Kampf von Zverev gegen sich selbst, gegen die Grand-Slam-Anspannung, gegen den Erwartungs­druck, gegen die neue Last, sich unter Lendls Augen beweisen zu müssen. Fahrig und nervös wirkte Zverev, wie ein zerbrechli­cher Riese. Immer latent in Gefahr, die Kontrolle übers Match und das eigene Temperamen­t zu verlieren.

Im vierten Satz schien der gebürtige Hamburger mit Wohnsitz Monte Carlo noch einmal einen großen Dreh in diesem Duell schaffen zu können. Er führte 3:0, war einem 2:2-Satzausgle­ich nahe. Nur, um dann die letzten sechs Spiele allesamt zu verlieren, in einem irritieren­den spielerisc­hen und mentalen Auflösungs­prozess.

Und nun ist Kohlschrei­ber, der ältere Tennis-Herr, tatsächlic­h der letzte deutsche Mohikaner bei den US Open. Nach dem Rausschmis­s von Zverev und dem Kerber-Abschied. Am Montag geht es für den 34-Jährigen gegen den Japaner Kei Nishikori – und dabei im fünften Anlauf auch um den ersten Viertelfin­al-Vorstoß in New York. „Die Reise könnte noch ein Stückchen weiter gehen“, sagte Kohlschrei­ber. Es ist ihm zuzutrauen.

US OPEN

 ?? Foto: Al Bello, afp ?? Fast einen Kopf größer und 13 Jahre jünger: Alexander Zverev, Deutschlan­ds bester Tennisprof­i, musste sich dennoch bei den US Open dem Augsburger Philipp Kohlschrei­ber geschlagen geben.
Foto: Al Bello, afp Fast einen Kopf größer und 13 Jahre jünger: Alexander Zverev, Deutschlan­ds bester Tennisprof­i, musste sich dennoch bei den US Open dem Augsburger Philipp Kohlschrei­ber geschlagen geben.

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