Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die jung gestorbenen Genies
Friedberger Musiksommer Mozart und Mendelssohn stehen im Zentrum. Dann tritt Katharina Thalbach in Erscheinung
Erst ein Bruckner-Zyklus über Jahre gestreckt, jetzt ein kleiner Mozart-Zyklus an einem Abend: Der Friedberger Musiksommer setzt Schwerpunkte.
Gesteckt voll war St. Jakob am Freitag, als dem Festivalorchester mit Musikern unter anderem des Gürzenich-Orchesters Köln und des West-Eastern Divan Orchestra eine ansprechende Wiedergabe von Mozarts drei letzten Sinfonien gelang – und dies nach denkbar knapper Probenzeit unter Leitung von KarlHeinz Steffens, dem künstlerischen Leiter in Friedberg. Dass Mozart seine Sinfonien 39, 40, 41 in einem Rausch und Rutsch während des Sommers 1788 komponierte, ist gefestigtes Wissen, nicht aber die wissenschaftlich untermauerte Annahme, dass die drei Werke strukturell zusammengehören – was der Dirigent Nikolaus Harnoncourt kurz vor seinem Tod auch praktisch umsetzte, indem er die drei Sinfonien nahezu ohne Pause aneinanderkettete.
So blockhaft und stringent mochte Karl-Heinz Steffens die SinfonieTrias nicht umsetzen; ja, bei seiner Interpretation erhielt die JupiterSinfonie (41) – unabhängig von der Konzertpause – sogar das größte Gewicht in der Abfolge. Zuvor erklangen Nr. 39 mit einer schön die Erwartungen aufbauenden Einleitung, mit einem voller Drall in sich kreisendem Menuetto und einem vergnügt sprühenden Rausschmeißer-Finale, in dem sich ja die Orchesterinstrumente in ihrer Aussage immer wieder selbst bestätigen. Folgte Nr. 40 mit einem wunderbar ausgeführten Andante cantabile, bei dem sich Metrum, musikalischer Puls und rhythmisches Ticken spannungsvoll überlagerten, und einem Menuetto mit etwas rauen Holzbläsern und ausbüxenden Hörnern.
Dann aber Nr. 41, bewusst gemessen angegangen im Tempo, bewusst ausformuliert und ausartikuliert. Das besaß Größe und auch Pathos, und je weiter die Sinfonie fortschritt, desto mehr konnte der Hörer gewahr werden, worin diese Bedeutungsschwere musikhistorisch münden sollte: in den frühen Beethoven. Und der unorthodox entflammte Steffens unterstrich noch die leicht agitierende Kraft der Muzwischengeschalteten sik in den Sätzen 1, 2 und 4. Verständlich großer Applaus in St. Jakob – plus Standing Ovations.
Dem monolithischen Bekenntnis mit Amadés letzten Sinfonien folgte im finalen Konzert der Komponist, der als neuer Mozart apostrophiert wurde: Mendelssohn. Ihm allein war der erste Teil in der Rothenberghalle gewidmet (ebenso gestern die Plauder-Matinee), ehe es zu bizarren „Musikalischen Begegnungen“kam – durch die frech-frischen Kontraste des Festivalprogramms zog sich gleichzeitig ein roter Faden.
Mendelssohns Oktett ist ein Meisterwerk, durch das der 16-Jährige nur noch mit Mozarts jugendlichem Genie vergleichbar ist. Was vier Violinen, zwei Bratschen und Celli spielen, ist mehr als Klangverstärkung. In der Stimmaufteilung entsteht ein faszinierendes plastisches Klangpanorama. Man hört die bebende Kraft der Energieströme wie auch, im Andante, an Schubert gemahnende Hell-dunkel-Visionen. Das spukhafte Scherzo kündet von der „Sommernachtstraum“- Ouvertüre. Unter der Führung des suggestiven Spiels von Kolja Blacher gab es ein Klangmärchen.
Dann: Bühne frei für Katharina Thalbach, das explosive Stimmwunder, und für ihre Schauspielkollegin Nadine Schori. In drei „Szenen mit Musik“rückten sie der Tonkunst zu Leibe – ironisch, aufsässig, um doch ihrem Bann zu erliegen. E.T.A. Hoffmann schrieb die Novelle „Ritter Gluck“. Thalbach als Ich-Erzähler und Schori als der Opern-Reformator liefern sich in einer imaginären Begegnung abstruse Redeschlachten über nervende Musikformeln, schlechte Tonkünstler. Es schloss sich an „Amadeus“, Peter Schäffers radikale Sichtweise auf Mozarts Persönlichkeit – ein Faun, der neben himmlischen Tönen ein Doppelleben führte. Thalbach ließ es mit Mozarts Fäkal-Obszönitäten (Bäsle) nicht an Drastik fehlen, Schoris Salieri hört fassungslos die Schönheit der „Gran Partita“. Die Krone setzte eine Begegnung Bachs mit Friedrich dem Großen auf. Matthias Henke ließ sich eine lustige Story einfallen, wie der alte Fritz zu einer „Kartoffelmusik“, einer Huldigung seiner geliebten Bodenfrucht, kam. Ergebnis: Bach lieferte dieses „Musikalische Opfer“. Grandios: Thalbach als verwirrter Fritz, Schori als sächselnder Bach. Schönste klingende Kommentare lieferten Karl-Heinz Steffens, Ruth Ron, Nikolaus Boewer, Florian Barak und Michal Friedländer mit Kammermusik von Mozart und Debussy bis Schostakowitsch.