Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kunden sind nicht chancenlos
Jan Cordes. Er vertritt Reinhold Bauer in dem Rechtsstreit. Wer vor Gericht zieht, bekommt von VW in vielen Fällen ein günstiges Angebot für den Kauf eines Neuwagens. In Augsburg sind schon einige Prozesse auf diese Weise vorzeitig beendet worden, ohne dass die Richter ein Urteil fällen mussten. Reinhold Bauer will sich auf solch einen Vergleich jedoch nicht einlassen. Er möchte nach der Enttäuschung keinen Volkswagen mehr kaufen. Er pocht auf eine Rückabwicklung des Kaufvertrags.
Damit wird der Kauf rückgängig gemacht. Er muss dann aber für die bisherige Nutzung des Autos einen Abschlag zahlen. Dass er mit seiner Klage gute Chancen hat, zeichnete sich bei einem Prozesstermin in dieser Woche bereits ab. Die zuständige Richterin sagte, es gebe in ver- Fällen bereits viele Urteile zugunsten des Autokäufers. Der Käufer sei demnach durch die Verwendung der „Schummelsoftware“getäuscht worden.
Die Gerichte orientieren sich bei ihren Urteilen durchaus an bereits vorliegenden Entscheidungen. Sie müssen das aber nicht tun. Sammelklagen, wie es sie zum Beispiel in den USA gibt, kennt das deutsche Recht bisher nicht. Jeder Kläger muss selbst tätig werden. Das ist auch für die Gerichte eine große Belastung.
Daran soll sich demnächst etwas ändern. Der Bundestag hat auch vor dem Hintergrund der Dieselaffäre ein Gesetz verabschiedet, wonach ab November eine sogenannte Musterfeststellungsklage möglich sein wird. Ein Verband, etwa die Verbraucherzentrale, kann dann stellRechtsanwalts vertretend für betroffene Kunden gegen einen Hersteller klagen. Wer sich der Musterklage anschließen will, kann sich in ein Verzeichnis eintragen und muss nicht selbst vor Gericht ziehen.
Bei den Gerichten verspricht man sich davon eine spürbare Entlastung. Denn je mehr Klagen sich stapeln, umso länger dauern die Verfahren. Das zeigen die Zahlen: Rund 20 Diesel-Verfahren wurden am Augsburg Landgericht in diesem Jahr erledigt. Zuletzt kamen aber jeden Monat neue Klagen in dieser Größenordnung hinzu. Rechtsanwalt Jan Cordes geht davon aus, dass der Dieselskandal die Gerichte auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen wird. Denn inzwischen sind auch Marken wie BMW und Mercedes ins Zwielicht geraten und haben teils Fahrzeuge zurückgerugleichbaren fen, um neue Software zu installieren. Weil diese Fälle erst deutlich später bekannt geworden sind, läuft die Verjährung hier auch noch nicht so schnell aus.
Eine Erfolgsgarantie kann Anwalt Jan Cordes seinen Mandanten nicht geben. Denn die Gerichte urteilen nach wie vor sehr unterschiedlich, sagt er.
Es scheint sich aber ein Trend zu Entscheidungen zugunsten der Autokäufer abzuzeichnen. Das legt auch eine Übersicht nahe, die der Automobilklub ADAC regelmäßig veröffentlicht. Der Verband sammelt alle bekannt gewordenen Gerichtsentscheidungen zum VW-Abgasskandal. Der Zwischenstand von Mitte August: Von insgesamt aufgelisteten 997 Gerichtsverfahren gingen 692 zugunsten der Autokäufer aus. »Kommentar
Wie große politische oder wirtschaftliche Entwicklungen einzelne Menschen betreffen, zeigt sich regelmäßig in den Gerichtssälen vor Ort. Seit Jahren etwa dominieren am Augsburger Verwaltungsgericht die Asyl-Klagen. Gegenüber früheren Zeiten hat sich die Zahl der Verfahren dort zwischenzeitlich mehr als verdreifacht. Diese Dimensionen nehmen die Zivilverfahren aufgrund des Diesel-Skandals nicht an, die Belastung für das Augsburger Landgericht ist dennoch nicht ohne. 250 aktuell offene Verfahren sind eine Hausnummer, zumal absehbar ist, dass bis Ende des Jahres noch etliche solcher Klagen hinzukommen dürften und viele davon umfangreich und komplex sind. Gut möglich, dass die Thematik die Gerichte noch Jahre lang beschäftigt.
Die erfreuliche Nachricht für Kunden von VW ist, dass sie gegen den Autokonzern rechtlich nicht chancenlos sind. Nach einer Statistik des ADAC gehen die meisten der Gerichtsverfahren sogar zugunsten der Autokäufer aus. Mag der Autokonzern betroffene DieselKäufer auch in Deutschland nicht freiwillig entschädigen – der Rechtsweg kann zum Erfolg führen, wenn er auch keine Gewissheit bietet. Denn die aktuelle Rechtslage ist ein Flickenteppich, und die Gerichte urteilen teils sehr unterschiedlich. Höchstrichterliche Entscheidungen, an denen sich die Gerichte orientieren können, existieren bislang nicht. Eine erste solche Entscheidung des Bundesgerichtshofes in der Thematik wird es wohl erst 2019 geben.