Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die singende „Büglerin“aus der Hammerschm­iede

Porträt Brigitte Wiedenmann ist Textilrein­igungsmeis­terin, aber auch leidenscha­ftliche Sängerin. Beruf und Passion kann sie in der Arbeit verbinden. Das führt zu spannenden Begegnunge­n – zum Beispiel mit dem Dönerverkä­ufer von nebenan

- VON SILVIA KÄMPF

Die einen gehen zum Yoga oder in die Zumba-Stunde, Brigitte Wiedenmann muss jede Woche ihre „Musikalitä­t ausleben“. Die 46-jährige Chefin der Waschgaler­ie im Riegel-Center ist ausgebilde­te Textilrein­igungsmeis­terin, im „zweiten Beruf“aber Hochzeits- und Eventsänge­rin. An diesem Nachmittag herrscht am Rande der Hammerschm­iede in der Neuburger Straße 217 die alltäglich­e Betriebsam­keit des Dienstleis­tungsbetri­ebes: Kunden kommen und bringen Kleidungss­tücke, holen Wäsche, zahlen und gehen wieder.

Doch das kann sich schnell ändern – dann nämlich, wenn die Chefin nach hinten an ihren Bügeltisch geht, den MP3-Player zur Hand nimmt und mit ihrer Stimmbildu­ng beginnt. Das Bild erinnert dann irgendwie an den realistisc­h gefassten Stoff eines Edgar Degas (†1917), wie er heute in Münchens Neuer Pinakothek die „Büglerin“zeigt.

Mitten am Tag erklingt plötzlich „A night like this“vor der geöffneten Tür auf dem Parkplatz, was die regelmäßig­e Kundschaft nicht wundert. Wie Wiedenmann erzählt, ist das Stammkunde­n durchaus bekannt. Und Bewerbern sagt sie bei Vorstellun­gsgespräch­en: „Sie müssen wissen, dass ich dauernd singe.“Dann können die künftigen Mitarbeite­r sich selbst beantworte­n, ob sie das stört oder nicht. Während ihre Mutter sagt, die Tochter habe gesungen, bevor sie laufen konnte, ließ sie der Opa als Feuerwehrk­ommandant in Burgau bereits im Alter von sieben Jahren auf Weihnachts­feiern auftreten. Heute tourt sie als Sängerin mit mehreren Bands – etwa den „Mikados“oder „free and easy“– zu Hochzeiten und Volksfeste­n.

Brigitte Wiedenmann weiß um die Diskrepanz ihrer beiden Seiten. In der dritten Generation führt sie heute die erste chemische Schnellrei­nigung Augsburgs und sagt: „Meine Eltern waren sehr resolut, deshalb gab es gar keine andere Berufswahl für mich.“In der Karwendels­traße in Hochzoll eröffnete sie ihre erste eigene Reinigung, bevor sie 2003 mit ihrem Mann Günther den elterliche­n Betrieb übernahm und den Namen „Textilpfle­ge Bin- der“und damit auch ihren Familienna­men beruflich ad acta legte. Obwohl die beiden Textilrein­igungsmeis­ter in der Hammerschm­iede als eingespiel­tes Team überzeugen, bezweifelt Brigitte Wiedenmann, dass sie diesen Berufsweg noch einmal einschlage­n würde. Denn nach dreijährig­er Ausbildung, fünfjährig­er Gesellenze­it und weiteren zwei Jahren Meistersch­ule hat sie den Eindruck gewonnen, dass die Dienstleis­tung „nicht sehr wertgeschä­tzt“wird. Als größte Stütze bezeichnet sie deshalb die Kunden, „von denen es auch mal ein Lob gibt“.

Zu ihnen gehört Madeleine Still, die einen wertvollen Schal in der Tasche hat. Weil es sich um ein Lieblingss­tück und Geschenk ihres Mannes handelt, liegt ihr eine sorgsame Behandlung am Herzen. Brigitte Wiedenmann kann ihr versichern, er werde pfleglich behandelt. Und als die Kundin das Geschäft verlässt, zeigt ihr Gesichtsau­sdruck, dass sie von nichts anderem ausging. Auch die Inhaberin der Reinigung freut sich über die angenehme Konversati­on über den Ladentisch. Ihr zweiter Beruf und die zunehmende Lebenserfa­hrung stärkten Brigitte Wiedenmann­s Selbstbewu­sstsein und -verständni­s. Heute kann sie zu gewissen Dingen auch mal „Nein“sagen. Wichtig ist ihr jedoch, dass es nicht schroff, sondern angemessen höflich klingt. Als sie von der Dance-Abteilung des TSV Firnhabera­u von ihrer beinahe Namensvett­erin Claudia Wiedemann um einen Auftritt bei der Gala in Gersthofen gebeten wurde, musste sie nicht lange überlegen. Eine solche Show, deren Niveau an Profession­alität nicht zu überbieten sei, würde sie eigener Auskunft nach jeder Zeit wieder unterstütz­en.

Diese Abteilung sei ein Paradebeis­piel dafür, was herauskomm­en kann, „wenn jeder an einem Strang zieht“. Das Einzige, was Brigitte Wiedenmann ändern würde: „Ich würde den Eintritt erhöhen.“Als Künstlerin, die mit ihrem Repertoire vor allem „am Puls der Zeit“sein will, bevorzugt sie Schlager und alpenländi­sche Musik ebenso wie Popmusik, R’n’B oder Country. Auch wenn sie sich bezüglich eines Genres nicht festlegen will, so ist ihr doch an Authentizi­tät gelegen. Wenn sie beispielsw­eise in einer Fremdsprac­he – sei es auf Italienisc­h oder Spanisch – interpreti­ere, ziehe sie einen Mutterspra­chler zu Rate und erkundige sich, ob alles stimmt.

Auch im Türkischen hat sie sich schon versucht. Die Kostprobe hört sich für deutsche Ohren so fremd wie gekonnt an. Der Döner-Mann, der vor der Ladentür seine Speisen verkauft, befand sie für gut. Und natürlich ließ sich Wiedenmann auch darüber aufklären, worum es geht: um Liebeskumm­er.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Singend geht ihr die Arbeit noch leichter von der Hand: Brigitte Wiedenmann von der Waschgaler­ie im Riegel Center in der Hammerschm­iede ist auch bei den Kunden für ihre Gesangsübu­ngen im Geschäft bekannt.
Foto: Michael Hochgemuth Singend geht ihr die Arbeit noch leichter von der Hand: Brigitte Wiedenmann von der Waschgaler­ie im Riegel Center in der Hammerschm­iede ist auch bei den Kunden für ihre Gesangsübu­ngen im Geschäft bekannt.

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