Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Natur ist ein Gegner
Wirtschaft Dachdecker brauchen bei jedem Wetter Fingerspitzengefühl. Unter der Hitze der vergangenen Wochen hatten sie besonders zu leiden
Landkreis Augsburg Bis vergangene Woche sahen die Arbeitstage des Dachdeckertrupps der Bobinger Firma Wiedemann & Bzduch so aus: Gerade geht die Sonne auf. Es ist kurz nach halb sieben Uhr. Eine Aluminiumleiter wird an ein Flachdach in Königsbrunn geschoben. Arbeiter wuseln hinauf und beginnen, alte Bitumenbahnen vom Dach zu reißen. Der Trupp hat mit der Sanierung des Daches begonnen. Georg Wiedemann, Chef der Firma, erklärt: „Wenn es so heiß ist, müssen wir früh anfangen. Dann können wir die kühleren Morgenstunden ausnutzen. Später, wenn es richtig heiß ist, können wir auf dem Dach nicht mehr arbeiten.“
Die Temperaturen könnten am Nachmittag absolut unerträglich werden, führt Wiedemann aus. Es sei nicht nur die reine Umgebungshitze. Zusätzlich sei man auf dem Dach ständig der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Und dann wären da noch die Materialien, mit denen gearbeitet würde. In der Sonne würden sich vor allem schwarze Bitumenbahnen oder Folien unglaublich schnell aufwärmen. Diese würden dann so heiß, dass man sich daran die Finger verbrennen könne. Dazu käme noch die Hitze, die der Bunsenbrenner beim Verschweißen der Dachfolien erzeugt. „Irgendwann ist Schluss. Da spielt dann der Körper nicht mehr mit“, sagt Wiedemann. Als Arbeitgeber sei man auch für die Gesundheit seiner Mitarbeiter verantwortlich. Also müsse man eben Feierabend machen, wenn es nicht mehr ginge.
Als Dachdecker entwickle man ein gutes Gespür dafür. Leider sei das nicht bei allen Arbeitern auf dem Bau so, sagt Wiedemann. In den letzten Wochen der Hitzewelle habe er öfter erleben müssen, dass Kollegen anderer Branchen einen Kreislaufkollaps erlitten hätten. So weit wolle er es auf keinen Fall kommen lassen. Da mache man lieber früher Schluss, obwohl das natürlich auch Probleme mit sich bringe.
Zum einen sind da die zugesagten Termine, die man nicht mehr halten könne, wenn man nicht die kalkulierte Arbeitszeit pro Tag leisten könne. Zum anderen verschärfe sich der „natürliche“Zeitdruck immens. „Denn wenn Gewitter vorhergesagt sind, kann man ein Dach nicht einfach offen stehen lassen.“Das bringe Brisanz in die Sache. Dann müsste doch noch schnell weitergearbeitet werden, trotz Hitze. Oder man müsse mit zusätzlichem Aufwand das Dach provisorisch mit Folie abdecken.
Die Natur sei oft ihr härtester Gegner, sagt Wiedemann. Zuviel Hitze sei schlecht, gibt er zu bedenken. Regen, Wind und Schnee seien auf dem Dach aber ebenfalls gefährlich. Und würden die Temperaturen wiederum zu tief sinken, dann könnten viele der modernen Baustoffe nicht mehr verarbeitet werden. „Trotz aller modernen Technik, die uns zur Verfügung steht, die Natur ist immer noch stärker“, so das Fazit des Dachdeckermeisters. Dann räumt er gleich noch mit einem Klischee auf: Entgegen der herrschenden Meinung sei die Mehrzahl der Dachdecker keineswegs schwindelfrei. Vielmehr entstehe durch das ständige Arbeiten in der Höhe ein Gewöhnungseffekt. Irgendwann mache es einem dann nichts mehr aus, in fünf bis zehn Metern Höhe zu arbeiten. Ginge man dann aber unvermittelt in größere Höhen, müsse man sich erst wieder an die neue Lage gewöhnen. Das hätten er und seine Mitarbeiter deutlich gespürt, als sie das Dach des Großaitinger Kirchturms neu belegten. „Da ist man dann plötzlich dreißig Meter über Grund. Das ist schon eine andere Hausnummer.“
Noch deutlicher wäre es laut Wiedemann auf dem Dach des Lagerlechfelder Wasserturms gewesen. Der sei schon vierzig Meter hoch. „Höher als die meisten Kirchtürme in der Gegend. Aber dafür hat man während der Arbeit einen tollen Rundumblick und sieht weit über das Augsburger Land“, schmunzelt Georg Wiedemann.
Es gibt sie also, die schönen Momente in seinem Job. Was ihm wirklich Sorgen mache, sei die schlechte Lage beim Nachwuchs. Wie viele andere Branchen, litten die Dachdecker unter Lehrlingsmangel. Ein Licht am Ende des Tunnels sei im Moment nicht in Sicht, sagt Wiedemann. Dabei sei Dachdecker nicht „nur“ein handwerklicher Beruf. Man sei heutzutage auch gleichzeitig Energieberater, Baustatiker und Fachmann für Dämmverfahren. Da müsse man sich auch theoretisch gut auskennen und in der Lage sein, den Wärmedurchgangswert für einen Dachaufbau zu berechnen. Also ein durchaus fordernder und abwechslungsreicher Beruf. „Wenn wir weiterhin keine jungen Leute finden, die Dachdecker werden wollen, dann weiß ich nicht, wer in zwanzig Jahren noch aufs Dach steigen soll“, ist sein trauriges Fazit.
Regen, Wind und Schnee sind auf dem Dach ebenfalls gefährlich