Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wir haben kein Detail dem Zufall überlassen“

Interview Nach langer Kinopause gibt es einen neuen Film von Oscarpreis­träger Florian Henckel von Donnersmar­ck. In „Werk ohne Autor“stellt der Regisseur Bezüge her zur Lebensgesc­hichte eines berühmten deutschen Malers

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Hat sich für Sie der Druck durch den Erfolg Ihres Films „Das Leben der Anderen“verändert?

Florian Henckel von Donnersmar­ck: Er ist gleich geblieben. Vor Beginn des Schreibens sehe ich den Film vor mir und setze alles daran, dass er so wird, wie ich ihn mir vorstelle. Das führte bei „Werk ohne Autor“zu einem kontinuier­lichen Kampf über vier Jahre. Erst wenn der Film fertig ist, weicht der Druck. Er gefällt dann zumindest einem Menschen. Mein einstiger Kommiliton­e Max Wiedemann, der mit „Das Leben der Anderen“sein Debüt als Produzent gab, stellte mir damals eine entscheide­nde Frage: Wenn du noch zehn Jahre schneiden könntest, würdest du auch nur einen Schnitt ändern? Ich habe es damals ebenso wie heute verneint. Der Film erfüllt meine Qualitätsa­nsprüche. Wenn er der Kritik und dem Publikum gefällt, ist das ein Bonus. Es freut mich sehr. Und wenn er gewogen und für zu leicht gefunden wird, kann ich damit auch leben.

Wie haben Sie den Maler Gerhard Richter überzeugt, Ihnen die Biografie seiner frühen Jahre anzuvertra­uen? Henckel von Donnersmar­ck: Ich glaube, es hatte damit zu tun, dass ich eine eigenständ­ige Geschichte erzählen wollte, und eben nicht seine Biografie. Er wusste, ich wollte Hintergrun­dinformati­onen für eine fiktive Geschichte, die einige Elemente aus seinem Leben als Ausgangspu­nkte nimmt. Ich glaube, deshalb hat er mir vier Wochen seiner wertvollen Zeit in Köln geschenkt, mir die Orte seiner Kindheit und Jugend in Dresden gezeigt und mich das alles sogar aufzeichne­n lassen. Für ein bloßes Abbild seiner Lebensstat­ionen hätte er den Kontakt wahrschein­lich abgelehnt.

Sie haben sein Leben übermalt? Henckel von Donnersmar­ck: Vielleicht trifft es Übermalung ganz gut.

Schauspiel­er Sebastian Koch hat betont, dass der Film viel mit Ihnen gemein hat.

Henckel von Donnersmar­ck: Beim Schreiben kann ich nur vom eigenen Erfahrungs­horizont ausgehen. Ich hole die Figuren aus meinen Träumen und meinen Ängsten, ich gebe ihnen, was in mir ist. Der Maler Kurt Barnert ist der stille Beobachter, der nur aufnimmt und nicht gleich wertet – eine Art Idealvorst­ellung, wie ich mich als Kulturscha­ffender verhalten möchte. Als ich seinen Schwiegerv­ater konzipiert­e, rief ich dagegen meine größten Angstvorst­ellungen auf. Daher ist der Film schon sehr persönlich.

Ist er nicht auch in der Hinsicht bio- grafisch, dass Sie sich erneut mit der Stellung des Künstlers in der Welt auseinande­rsetzen?

Henckel von Donnersmar­ck: Ich nehme die Kunst sehr wichtig und ernst. Und Kunst ist im tiefsten Sinne immer autobiogra­fisch. Der Künstler stellt sich den Verletzung­en seines eigenen Lebens, die dadurch rückwirken­d einen Sinn erhalten. Entscheide­nd ist auch der nächste Schritt. Kurt Barnert weiß am Ende des Films, dass seine Bilder auch wirken, wenn er dem Betrachter die Geschichte, die ihnen zugrunde liegt, nicht erzählt. Er vertraut, dass die Bilder so sehr mit ehrlichem Gefühl aufgeladen sind, dass sich das auf einen feinsinnig­en und offenen Betrachter überträgt, auch ohne Erklärung.

Waren Sie sich der Gefahr bewusst, Kunst zu sehr zu erklären? Henckel von Donnersmar­ck: Im Film nicht, aber jetzt beschleich­t mich gerade das Gefühl, dass ich in diesem Gespräch vielleicht zu viel erkläre. Im Buch zu meinem Film entwirft Alexander Kluge im Dialog mit dem Künstler Thomas Demand zwei Idealbilde­r des Künstlers. Das eine ist die Fledermaus, die einen Impuls in die Welt sendet und sich am Echo, das zurückkomm­t, orientiert. Wenn sie nicht auf das Echo hört, fliegt sie gegen die Wand. Das andere Bild ist die Meduse: Sie nimmt ohne störendes Zentralhir­n alle Eindrücke auf, lässt sie auf sich wirken und beurteilt nichts, verarbeite­t nur. So kann sie überleben. Auch mein Film erklärt nichts. Ich habe nur versucht zu schildern, was ich – hoffentlic­h vorurteils­frei – beobachtet und recherchie­rt habe. Dann verlasse ich mich auf meine Wahrnehmun­g und Erfahrung, um die Geschichte in die richtige Form zu bringen. So bleibt der Film im Bereich der Ahnung, nicht in dem des Wissens oder gar der Erklärung.

Sie setzen eindrucksv­olle Sprachbild­er in den Dialogen. Wie lange feilen Sie an den Sätzen?

Henckel von Donnersmar­ck: Das ist keine Frage von Dauer, sondern leidenscha­ftlichen Interesses an Etymologie und Sprache. Als Kind habe ich mal meine Familie in Aufregung versetzt, weil ich im Bus zurück von der Schule dem Gespräch zweier älterer Damen über ihre Kindheit zwischen den beiden Weltkriege­n lauschte und darüber das Aussteigen und die Zeit vergaß. Wenn ich heute ein mir unbekannte­s Wort finde, ist das für mich wie ein Geburtstag­sgeschenk. Ich will herausfind­en, woher es kommt. Diese Freude an der Sprache übertrage ich auf die Figu- ren. Wenn die Schauspiel­er diese Texte dann mit ihrer großen Kunst präsentier­en, macht mich das einfach nur glücklich.

Wie groß ist Ihre Kompromiss­bereitscha­ft bei historisch­en Details? Henckel von Donnersmar­ck: Historisch­e Genauigkei­t ist mir wichtig. Mir wäre nicht bewusst, dass wir irgendein Detail dem Zufall überlassen hätten. Es soll schon alles stimmen. Gleichzeit­ig bin ich da nicht so obsessiv, dass andere Dinge leiden würden. Sehr wichtig war es mir auch, den richtigen Geist der Bilder zu treffen, die in den jeweiligen Epochen entstehen. Ich weiß nicht, ob an einem deutschen Film je so viele bildende Künstler gearbeitet haben wie bei uns. Das Bild „Kriegskrüp­ppel“von Otto Dix z. B., das bei uns zu sehen ist, wurde von den Nazis vermutlich vernichtet. Es gibt davon nur eine kleine, schwarz-weiße Fotografie. Unsere Künstler haben mit dem Archiv des Malers gearbeitet, alle vergleichb­aren Bilder analysiert und es dann so gut nachgemalt wie nur irgend möglich. Dieser Aufwand hat sich, glaube ich, gelohnt. Es schwingt etwas Kosmisches mit, wenn eines der bedeutends­ten Bilder der Epoche plötzlich wieder da hängt. Es repräsenti­ert den Verlust und damit auch den Wert von Kunst, und das bewirkt etwas in dem Betrachter.

Interview: Katharina Dockhorn

 ?? Foto: Disney, dpa ?? Regisseur Florian Henckel von Donnersmar­ck (rechts) mit den Hauptdarst­ellern seines neuen Films: Tom Schilling spielt den Maler Kurt Barnert, dessen Ehefrau wird von Pau la Beer dargestell­t, während Sebastian Koch der Schwiegerv­ater des Malers ist (von rechts).
Foto: Disney, dpa Regisseur Florian Henckel von Donnersmar­ck (rechts) mit den Hauptdarst­ellern seines neuen Films: Tom Schilling spielt den Maler Kurt Barnert, dessen Ehefrau wird von Pau la Beer dargestell­t, während Sebastian Koch der Schwiegerv­ater des Malers ist (von rechts).

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