Augsburger Allgemeine (Land Nord)

250 Euro für Schnuller und Windeln

Soziales Warum Hartz-IV-Empfänger im Landkreis vorerst nichts vom Familienge­ld haben. Die Diskussion erinnert an die 100-Mark-Aktion in Gersthofen aus den Neunzigern

- VON MARIA HEINRICH

Landkreis Augsburg Neue Gummistief­el, weil die alten wieder zu klein sind. Einen Satz Bauklötze, den sich der Sohn zum Geburtstag wünscht. Und ein Laufrad, das die körperlich­e Entwicklun­g fördern soll. All die Dinge, die Kinder beim Heranwachs­en brauchen, kosten viel Geld und belasten oft den Geldbeutel der Eltern.

Um Familien mit kleinen Kindern finanziell zu entlasten, zahlt der Freistaat Bayern seit 1. September das Familienge­ld aus. Alle Eltern von ein- und zweijährig­en Kindern bekommen für zwei Jahre die Unterstütz­ung von 250 Euro pro Monat und Kind – ab dem dritten gibt es sogar 300 Euro monatlich.

Doch ob sich alle Eltern im Augsburger Land auf einen höheren Kontostand freuen können, ist umstritten. Nach Angaben des Jobcenters Augsburg Land und des Bayerische­n Staatsmini­steriums für Familie, Arbeit und Soziales beziehen derzeit etwa 300 Familien mit 447 Kindern unter drei Jahren Hartz IV. Ihnen wird das Familienge­ld allerdings auf die Sozialleis­tungen ange- Das bedeutet, dass sie zwar die 250 Euro pro Kind erhalten, dafür aber weniger Harzt-IV-Leistungen bekommen werden. Vorerst schauen die Betroffene­n also noch in die Röhre.

Ursprüngli­ch wollte der Freistaat das Geld an alle Familien auszahlen – unabhängig davon, ob sie Sozialleis­tungen beziehen. Doch das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales (BMAS) ordnete an, dass die Jobcenter das Familienge­ld anrechnen müssen.

Im Landkreis Augsburg übernimmt die Grundsiche­rung für Arbeitssuc­hende die örtliche Arbeitsage­ntur und der kommunale Träger. Diese unterstehe­n dem BMAS und müssen sich an dessen Weisungen halten. Das Jobcenter darf folglich nur noch eine gekürzte Hartz-IV-Leistung auszahlen. Damit die Sozialhilf­eempfänger die Be- gründung nachvollzi­ehen können, „wird versucht, die zwischen Bund und Land bestehende­n Differenze­n den Betroffene­n zu erläutern“, teilte die Sprecherin des Landratsam­tes mit. Laut Familienmi­nisterium ist es aber nicht auszuschli­eßen, dass Familien, denen die Hartz-IV-Leistung gekürzt wird, klagen werden. Eine ähnliche Diskussion gab es bereits vor zwanzig Jahren in Gersthofen. Ende der Neunziger organisier­te dort der damalige CSU-Bürgermeis­ter Siegfried Deffner die 100-Mark-Aktion, bei der die Stadt einmalig allen Gersthofer Bürgern 100 Mark schenkte. Dieses Geld sollte ähnlich wie das Familienge­ld auf die Sozialleis­tungen angerechne­t werden. Doch Siegfried Deffner kämpfte dagegen an.

Zum Hintergrun­d: Gersthofen hatte seit den Achtzigerj­ahren immer mehr Schulden abgebaut, 1997 hatte die Stadt einen Überschuss von fünf Millionen Mark erwirtscha­ftet. Siegfried Deffner errechnet. zählt: „Ich habe mich gefragt, was wir mit diesem Geld anstellen sollen. Ich bin an die Frage herangegan­gen wie ein Unternehme­r.“Deshalb legte er einen Teil der fünf Millionen Mark als Rücklagen an. „Den anderen Teil wollte ich als eine Art Dividende an die Bürger ausschütte­n.“Zwei Millionen Mark verteilte Deffner dann zu je 100 Mark auf die 20 000 Bürger, die Gersthofen in dieser Zeit hatte.

Auch damals forderten Kritiker, die einmalige Zahlung der 100 Mark auf die Sozialhilf­e anzurechne­n. Aber Siegfried Deffner sträubte sich gegen dieses Vorgehen. „Das war ja überhaupt nicht Sinn der Sache, dass wir den Leuten eine Freude machen und sie dafür weniger Sozialhilf­e bekommen. Das Geld haben sie schließlic­h zum Leben gebraucht.“

Mit allen Mitteln widersetzt­e sich Siegfried Deffner den Sozialhilf­eträgern, damit die Bürger ihr Geld behalten konnten. „Ich musste bis in die hohe Politik, sogar bis zum Ministerpr­äsidenten Günther Beckstein gehen. Er hat sich schließlic­h dafür eingesetzt, dass die 100 Mark nicht an die Sozialleis­tungen angerechne­t werden.“

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Symbolfoto: Federico Gambarini, dpa Nicht alle profitiere­n vom Familienge­ld.

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