Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Grausamkeiten hinter Gittern
Urteil Ein 19-Jähriger foltert in Ulm seinen Mithäftling. Gewalt in Gefängnissen ist keine Seltenheit
Ulm Wenn der Abend kam, gab es Prügel. Oder der Kopf wurde in die Waschschüssel gequetscht. Manchmal wurde dem Opfer auch mit einem Kissen der Mund zugedrückt. Schließlich zwang der 19-jährige Gewalttäter seinen Mithäftling in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Ulm, sich zu bücken, und rammte ihm mit einem Tritt eine Plastikgabel in den Anus. Am Montag wurde er dafür vom Landgericht Ulm zu acht (weiteren) Jahren in Haft verurteilt. Das Gericht sah die Vorwürfe der besonders schweren Vergewaltigung sowie der schweren Körperverletzung und der Nötigung in mehreren Fällen als erwiesen an.
Richter Wolfgang Tresenreiter sah den dunkelhaarigen 19-jährigen, an Hals und Armen tätowierten Mann direkt an, als er ihm bei der Begründung des Urteils die gravierenden Folgen seiner Folter klarzumachen versuchte. Die Gabel hatte den Darm perforiert. Folge war eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung. Dem Mann musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. „Seitdem muss der gesamte Kot in einem Beutel aufgefangen werden.“
Die Haftanstalt sei zum Tatzeitpunkt wieder mal überbelegt gewesen, berichtete ein Vollzugsbeamter. Obwohl die Neigung des Angeklagten zu Gewalt bekannt war – er hatte zuvor in einem anderen Gefängnis einen Häftling misshandelt –, legte man den 61-Jährigen zu ihm in die Zelle. Die Anstaltsleitung, so der Zeuge, habe sich von dem älteren Mann eine beruhigende Wirkung auf den jungen Heißsporn erhofft.
Quälereien sind in Gefängnissen keine Seltenheit. Und manche sind noch schlimmer als die in Ulm. Der mit Abstand schlimmste Fall war wohl 2006 der Foltermord in der JVA Siegburg. Damals wurde ein 20-Jähriger von drei jugendlichen Mithäftlingen über Stunden hinweg gequält, vergewaltigt und schließlich getötet. Zwölf Jahre danach sagt René Müller, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbeamten (BSBD): „Gewalt hinter Gittern ist Alltag. Und sie hat zugenommen, wie Rückmeldungen unserer Landesverbände zeigen.“Vor Gericht kamen auch die Zustände in Ulm zur Sprache. Die JVA gilt keineswegs als Risikoknast, sondern als normales Durchschnittsgefängnis. Vielleicht war es gerade das, was bei Prozessbeobachtern immer wieder Kopfschütteln auslöste.
Thomas Burmeister, dpa